Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt in dem Verfahren der Axel Springer AG gegen Deutschland mehrstimmig eine Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung fest

 

EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE

GROSSE KAMMER

 

RECHTSSACHE S. AG ./. DEUTSCHLAND
(Beschwerde Nr. 39954/08)

 

URTEIL

STRASSBURG

7. Februar 2012

 

Dieses Urteil ist endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

 

In der Rechtssache S. AG ./. Deutschland,

hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der als Große Kammer zusammengetreten ist, die sich wie folgt zusammensetzt:

Nicolas Bratza, Präsident,
Jean-Paul Costa
Françoise Tulkens,
Josep Casadevall,
Lech Garlicki,
Peer Lorenzen
Karel Jungwiert,
Renate Jaeger,
David Thór Björgvinsson,
Ján Šikuta,
Mark Villiger,
Luis López Guerra,
Mirjana Lazarova Trajkovska,
Nona Tsotsoria,
Zdravka Kalaydjieva,
Mihai Poalelungi,
Kristina Pardalos, Richter,
und Michael O’Boyle, Stellvertretender Kanzler,
nach Beratung in nichtöffentlicher Sitzung am 13. Oktober 2010 und am 7. Dezember 2011

das folgende Urteil erlassen, das an dem letztgenannten Tag angenommen worden ist:

VERFAHREN

1. Dem Fall liegt eine gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Beschwerde (Nr. 39954/08) zugrunde, die die juristische Person deutschen Rechts, die S. AG („die Beschwerdeführerin“) beim Gerichtshof aufgrund des Artikels 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) am 18. August 2008 erhoben hat.

2. Die Beschwerdeführerin rügte das ihr auferlegte Verbot, über die Festnahme und Verurteilung eines bekannten Schauspielers zu berichten, der gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen hatte. Sie sah hierin eine Verletzung des Artikels 10 der Konvention.

3. Die Beschwerde ist ursprünglich der Fünften Sektion des Gerichtshofs zugewiesen worden (Artikel 52 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, die „Verfahrensordnung“). Am 13. November 2008 hat eine Kammer dieser Sektion beschlossen, die Beschwerde der Regierung zur Kenntnis zu bringen. Sie hat, wie es Artikel 29 Absatz 3 der Konvention in der damals geltenden Fassung ihr erlaubte, im Übrigen beschlossen, die Zulässigkeit und Begründetheit gemeinsam zu prüfen. Am 30. März 2010 hat eine Kammer, die sich zusammensetzte aus Peer Lorenzen, Präsident, Renate Jaeger, Karel Jungwiert, Rait Maruste, Mark Villiger, Mirjana Lazarova Trajkovska, und Zdravka Kalaydjieva, sowie Claudia Westerdiek, Kanzlerin der Sektion, nachdem sie beschlossen hatte, diese Beschwerde mit den Beschwerden H. ./. Deutschland (Nrn. 40660/08 und 60641/08), die sich auf die Weigerung der deutschen Gerichte bezogen, jegliche neue Veröffentlichung von zwei Fotos zu untersagen, zu verbinden, diese Beschwerde an die Große Kammer abgegeben, wobei keine der zu diesem Zweck befragten Parteien einer solchen Maßnahme widersprochen hat (Artikel 30 der Konvention und 72 der Verfahrensordnung).

4. Die Zusammensetzung der Großen Kammer ist nach dem früheren Artikel 27 Absätze 2 und 3 der Konvention (jetzt Artikel 26 Absätze 4 und 5) und Artikel 24 der Verfahrensordnung beschlossen worden. Am 3. November 2011 endete die Amtszeit des Präsidenten des Gerichtshofs, Herrn Jean-Paul Costa. In dieser Eigenschaft folgte ihm Nicolas Bratza, der seitdem den Vorsitz der Großen Kammer im vorliegenden Fall führt (Artikel 9 Abs. 2 der Verfahrensordnung). Nach Ablauf seiner Amtszeit blieb Jean-Paul Costa weiterhin Mitglied der Großen Kammer nach Artikel 23 Absatz 3 der Konvention und Artikel 24 Absatz 4 der Verfahrensordnung. Bei den letzten Beratungen haben die Ersatzrichter Lech Garlicki und Nona Tsotsoria die verhinderten Richter Rait Maruste und Christos Rozakis vertreten (Artikel 24 Abs. 3 der Verfahrensordnung).

5. Der Präsident der Großen Kammer hat beschlossen, dass Artikel 29 Absatz 3 der Konvention vor der Großen Kammer im Hinblick auf eine gemeinsame Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerden anwendbar bleibt. Er hat außerdem beschlossen, dass diese Beschwerde und die vorgenannten Beschwerden H. gleichzeitig geprüft werden (Artikel 42 Abs. 2 der Verfahrensordnung).

6. Sowohl die Beschwerdeführer als auch die Regierung haben schriftliche Stellungnahmen zur Zulässigkeit und zur Begründetheit der Rechtssache vorgelegt. Die Regierung hat schriftliche Kommentare zur Stellungnahme der Beschwerdeführerin unterbreitet.

7. Die nichtstaatlichen Organisationen Media Lawyers AssociationMedia Legal Defence InitiativeInternational Press Institute und World Association of Newspapers and News Publishers, die der Präsident ermächtigt hat, am schriftlichen Verfahren teilzunehmen (Artikel 36 Abs. 2 der Konvention und Artikel 44 Abs. 2 der Verfahrensordnung), haben ebenfalls Stellungnahmen vorgelegt. Die Parteien hatten die Möglichkeit, auf diese Stellungnahmen zu erwidern (Artikel 44 Abs. 5 der Verfahrensordnung).

8. Am 13. Oktober 2010 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung im Menschenrechtspalast in Straßburg statt (Artikel 59 Abs. 3 der Verfahrensordnung).

 

Es sind erschienen:

 für die Regierung
Frau A. Wittling-Vogel, Bundesministerium der Justiz, Verfahrensbevollmächtigte,
Herr C. Walter, Professor für Öffentliches Recht, Rechtsbeistand,
Frau von Ungern-Sternberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin,
Herr Sommerlatte, Mitarbeiter des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, und
Herr A. Maatsch, Richter am Landgericht Hamburg, Berater ;

– für die Beschwerdeführerin
HerrB., Rechtsanwalt, Rechtsbeistand,
FrauH., Rechtsanwältin, Beraterin.

 

Der Gerichthof hat die Erklärungen von Herrn Walter und Herrn B. sowie deren Antworten auf die Fragen der Richter angehört.

Infolge der Aufforderung des Präsidenten der Großen Kammer, ergänzende Informationen in Bezug auf eine von der Staatsanwaltschaft im Anschluss an die Festnahme des Schauspielers X abgehaltene Pressekonferenz haben die Parteien schriftlich eine Reihe von Unterlagen hierzu vorgelegt.

SACHVERHALT

I. DIE UMSTÄNDE DES FALLES

9. Die Beschwerdeführerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in H. Sie ist Verlegerin der auflagenstarken Tageszeitung B. Diese Rechtssache betrifft die Veröffentlichung von zwei Presseartikeln in dieser Tageszeitung über X, einen namhaften Fernsehdarsteller. Von Mai 1998 bis November 2003 spielte X die Rolle des Kommissars Y, den Titelhelden einer vom Privatfernsehen bis 2005 im Abendprogramm ausgestrahlten Fernsehkrimiserie. Im Oktober 2004 waren 103 Folgen ausgestrahlt worden, davon die letzten 54 mit X in der Rolle des Kommissars Y. Der durchschnittliche Marktanteil der Serie betrug 18 % (d.h. zwischen 3 und 4,7 Millionen Zuschauer pro Folge).

10. Am 14. Juni 2003 enthüllte die Beschwerdeführerin, dass X wegen rechtswidrigen Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden war. Nach einer Abmahnung von X hatte sie sich strafbewehrt verpflichtet, die Äußerung nicht zu verbreiten, wonach X wegen Besitzes von vier Gramm Kokain in seiner Wohnung, das er sich selbst per Post von Brasilien aus geschickt hatte, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten mit Aussetzung zur Bewährung sowie einer Geldstrafe von 5.000 EUR verurteilt worden war.

A. Die Festnahme von X

11. Am 23. September 2004 wurde X auf dem Münchner Oktoberfest gegen 23 Uhr wegen Kokainbesitzes festgenommen. In einer eidesstattlichen Versicherung behauptete eine Journalistin der beschwerdeführenden Gesellschaft, dass sie die vor Ort anwesenden Polizeibeamten gefragt habe, ob X festgenommen worden sei und aus welchem Grund. Die Polizei hatte bestätigt, dass X im Zelt der Firma K. im Besitz von Kokain festgenommen worden war, ohne weitere Angaben zu machen.

12. Laut dieser Versicherung hatte die Journalistin daraufhin den für den Pressedienst zuständigen Oberstaatsanwalt W. der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I kontaktiert und ihn um Auskünfte gebeten. W. hatte bestätigt, dass X im Zelt der Firma K. im Besitz von Kokain festgenommen worden war. W. zufolge hatten Polizeibeamte in Zivil X festgenommen, weil sie gesehen hatten, wie er beim Verlassen der Toiletten mit seiner Hand eine verdächtige Geste gemacht hatte. Die Beamten hatten ihn durchsucht, und nachdem sie bei ihm einen Umschlag mit 0,23 Gramm Kokain gefunden hatten, hatten sie ihn vorläufig festgenommen. W. zufolge erfolgte die Festnahme am 23. September gegen 23 Uhr und eine Anzeige war Gegenstand der laufenden Ermittlungen.

B. Die streitgegenständlichen Presseartikel

1. Der erste Artikel

13. In ihrer Ausgabe vom […] hat die von der Beschwerdeführerin herausgegebene Tageszeitung B. auf Seite 1 in großen Lettern die folgende Überschrift veröffentlicht:

„Kokain! TV-Kommissar Y auf Oktoberfest erwischt.“

Der kleingedruckte Artikel hatte folgenden Wortlaut:

„Er kam von der Toilette, wischte sich verdächtig übers Näschen – und wurde festgenommen! Auf dem Oktoberfest erwischte die Polizei den TV-Hauptkommissar X (…, „Y“) mit einem Kokain-Briefchen. Die [Drogen]-Affäre – Seite 12.“

Auf Seite 12 der Tageszeitung erschien die folgende Überschrift:

„[RTL]-Star X mit Kokain erwischt. Eine Brezn, eine Maß und eine Nase Koks.“

Der kleingedruckte Artikel hatte folgenden Wortlaut:

„Donnerstagnacht, 23 Uhr. Auf dem Oktoberfest wird getrunken, gefeiert, geschunkelt. Und geschnupft…. Im Promi-Zelt (…) verlässt TV-Star X (…, bürgerlicher Name (…)) die Herren-Toilette. Er wischt sich seine Nase – und macht so Polizisten auf sich aufmerksam. Die Beamten überprüfen den Hauptdarsteller der [RTL]-Serie Y (bis Juni über 60 Folgen in fünf Jahren). KOKAIN! X hat ein Briefchen mit 0,23 Gramm Koks bei sich. Er wird vorübergehend festgenommen. Oberstaatsanwalt W. aus München zu B.: „Er machte eine verdächtige Handbewegung, wischte sich mit den Fingern gegen die Nase. Das fiel unseren Ermittlern natürlich sofort auf. Die Anzeige gegen ihn läuft. Allerdings handelt es sich hier nur um eine geringe Menge Kokain.“ W.: „Mitten auf der Wies’n – das hätte natürlich auch Schnupftabak sein können, aber unsere Leute haben für so was einen Riecher…“ Schon einmal war X wegen Drogen mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Im Juli 2000 war der TV-Kommissar zu fünf Monaten Haft, auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt, sowie 5000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Der Vorwurf: Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln. X hatte sich während eines Brasilien-Aufenthalts vier Gramm Kokain per Post an seine Münchner Heimatadresse geschickt. Die Bewährung ist seit zwei Jahren abgelaufen. Die gefundene Drogen-Menge in (…) gering. Was kann dem Schauspieler blühen? Ein Rechtsexperte zu B.: „Selbst wenn die Bewährung abgelaufen ist, ist die Vorstrafe nicht weit entfernt. X riskiert eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung – bis zu einem halben Jahr“. Warum ist sogar Gefängnis möglich? „X hat sich offensichtlich durch die Freiheitsstrafe mit Bewährung nicht hinreichend beeindrucken lassen.“ [Der Schauspieler] musste sich vermutlich einer Haarprobe unterziehen. Mit jedem Zentimeter Haar kann der Kokain-Missbrauch und die Menge nachgewiesen werden. X war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar. PS: „In jeder Toiletten-Kabine des (…)-Zelts hängen übrigens Warnschilder: „Drogenmissbrauch wird strafrechtlich verfolgt!“

Der Artikel war mit drei Fotos von X versehen, eines auf der ersten Seite, die beiden anderen auf Seite 12.

14. An demselben Tag berichteten Presseagenturen und andere Zeitungen und Magazine im Laufe des Vormittags über die Festnahme von X, teilweise unter Bezugnahme auf den in der B. veröffentlichten Artikel. Staatsanwalt W. bestätigte im Laufe des Tages die von der Tageszeitung B. berichteten Vorgänge anderen Printmedien und Fernsehsendern, wobei zwei Sender („RTL“ und „pro7“) am gleichen Abend Reportagen sendeten. In einer der Sendungen gab Staatsanwalt W. folgende Erklärung ab:

„X wurde von den Polizeibeamten beobachtet, als er beim Verlassen der Toilette eine auffällige Handbewegung gemacht hat, woraus die Beamten schlossen, dass er etwas geschnupft hat. Daraufhin wurde er einer Kontrolle unterzogen; und man hat bei ihm ein Briefchen Kokain mit 0,23 Gramm aufgefunden. Er wurde schon mal verurteilt wegen illegaler Einfuhr von Betäubungsmitteln. Er hatte damals eine Freiheitsstrafe zur Bewährung bekommen. Er ist kein Ersttäter mehr. Er hätte wissen müssen, dass er die Finger von Drogen weglassen soll. Dementsprechend muss er diesmal unter Umständen wieder mit einer Freiheitsstrafe rechnen. Auch wenn es keine besonders hohe Menge war, die bei ihm festgestellt wurde.“

2. Der zweite Artikel

15. Am […] veröffentlichte die Tageszeitung B. auf den Innenseiten einen Artikel mit der Überschrift „TV-Kommissar X Kokain-Beichte vor Gericht. 18.000 Euro Strafe!“ der wie folgt lautete:

„München – Im TV spielt er einen Kommissar, der Verbrecher hinter Schloss und Riegel bringt. Gestern stand Schauspieler X (…) selbst vor Gericht – und legte ein [Drogen-] Geständnis ab! X musste sich vorm Amtsgericht wegen „unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln“ verantworten – und gab Drogenkonsum zu! Xs Rechtsanwalt erklärte: „Der Anklagevorwurf wird vollumfänglich eingeräumt“. Dem Richter sagte X: „Ich habe gelegentlich Cannabis geraucht und ab und zu Kokain konsumiert. Damit war ich nicht glücklich. Es war nicht üblich, aber es ist ab und zu mal passiert.“ Frage vom [Amts-] Richter (…): „Nehmen Sie jetzt noch Drogen?“ Antwort von X: „Nein, ich rauche Zigaretten.“ Das Urteil: 18 000 Euro Geldstrafe. Richter (…): „Zugunsten des Angeklagten wird gewertet, dass er ein volles Geständnis abgelegt hat.“ Im TV ermittelt X jetzt weiter auf der Seite von Recht und Gesetz. In Wien steht er für die Serie (…) vor der Kamera, die im Herbst im ZDF starten soll.“

Der Artikel war mit einem Foto von X versehen.

C. Die Verfahren vor den deutschen Gerichten

16. Unmittelbar nach Erscheinen der Artikel ist X vor dem Landgericht Hamburg gegen die Beschwerdeführerin gerichtlich vorgegangen. Ihren ursprünglichen Erwiderungen fügte die Beschwerdeführerin die Versicherung ihrer Journalistin (Rdnrn. 11 und 12 oben) sowie zahlreiche Presseartikel über X bei, darunter mehrere Interviews, die dieser insbesondere der Zeitschrift […] gegeben hatte, mit Fotos des Betroffenen.

 

1. Das erste Verfahren

a) Das Verfügungsverfahren

17. Nachdem das Landgericht Hamburg am 29. September 2004 von X im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angerufen worden war, untersagte es am 30. September 2004 die Veröffentlichung des ersten Artikels. Mit Urteil vom 12. November 2004 bestätigte es das Verbot. Das Oberlandesgericht Hamburg bestätigte dieses Urteil am 28. Juni 2005.

Am 6. Oktober 2004 verbot das Landgericht auch die weitere Veröffentlichung der Fotos, die diesen Artikel begleitet haben. Mit Urteil vom 12. November 2004 bestätigte es diese Entscheidung. Die Beschwerdeführerin focht dieses Urteil nicht an, das Rechtskraft erlangte.

b) Das Hauptsacheverfahren

i. Das Urteil des Landgerichts

18. Mit Urteil vom 11. November 2005 untersagte das Landgericht Hamburg jede weitere Veröffentlichung nahezu des gesamten Artikels unter Androhung eines Ordnungsgeldes, und zwar in Anwendung der §§ 823 Absatz 1 und 1004 Absatz 1 BGB (analog) (Rdnr. 47 unten), in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Es verurteilte die Beschwerdeführerin zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.000 EUR sowie der Erstattung der Verfahrenskosten (811,88 EUR nebst gesetzlichen Zinsen ab dem 4. November 2004).

19. Nach Ansicht des Landgerichts stellte die streitige Berichterstattung, in der der Name von X genannt und dieser mehrfach im Bild gezeigt werde, eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers dar, der durch die Bekanntmachung seines Fehlverhaltens quasi an den Pranger gestellt worden und in den Augen der Öffentlichkeit in Misskredit geraten sei. Trotz dieser negativen Wirkungen wäre dem Gericht zufolge eine solche Berichterstattung dennoch zulässig gewesen, wenn sie schwere Straftaten zum Gegenstand gehabt hätte, die zum Bereich des Zeitgeschehens zählten, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Eingriffe in die persönliche Sphäre des Täters seien aber durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt, der eine Abwägung der widerstreitenden Interessen beinhalte. Das Gericht war der Ansicht, dass im vorliegenden Fall das Recht auf Schutz der Persönlichkeit von X gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege, selbst wenn unstreitig sei, dass die in der Tageszeitung B. geschilderten Vorgänge wahr sind. Weder die Art der von X begangenen Straftat noch dessen Person oder sonstige Umstände würden die streitgegenständliche Berichterstattung rechtfertigen.

20. Das Gericht merkte an, dass ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz keine Kleinkriminalität sei, namentlich wenn es wie vorliegend um Kokain, eine harte Droge, gehe; X sei jedoch im Besitz einer lediglich geringen Menge dieser Droge gewesen und ihm sei nicht Handel mit Betäubungsmitteln vorgeworfen worden. Es handele sich somit um einen Fall mittlerer, vielleicht sogar einfacher Kriminalität, die zu zahlreichen Strafverfahren führen würde und der keine besondere Bedeutung für die Öffentlichkeit zukomme. Das Gericht fügte hinzu, dass anders als bei schweren Straftaten (wie spektakulären Raubüberfällen oder Mordfällen) keine besonderen Umstände ersichtlich seien, welche die in Rede stehende Straftat über die gewöhnliche Kriminalität herausheben würden, selbst wenn man davon ausginge, dass der Drogenkonsum im künstlerischen und Medienbereich verbreiteter ist als in anderen Kreisen. Im Übrigen würde die Art der Aufmachung der Berichterstattung bestätigen, dass die Tat selbst nicht von Bedeutung sei. Sie konzentriere sich nämlich stärker auf die Person von X als auf die Straftat selbst, die wahrscheinlich nie Gegenstand eines Presseartikels gewesen wäre, wenn sie von einem Unbekannten begangen worden wäre. Selbst wenn nach Ansicht des Gerichts die Vorstrafe von X wegen ähnlicher Taten geeignet war, das Interesse der Öffentlichkeit zu steigern, so handelte es sich um eine einzelne und darüber hinaus mehrere Jahre zurückliegende Vorstrafe.

21. Dem Gericht zufolge war die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Artikel auch nicht durch die Persönlichkeit des X gerechtfertigt. Es habe zwar ein öffentliches Interesse an dem Kommissar Y, einer recht bekannten TV-Figur, jedoch nicht an der Person des Schauspielers, der ihn verkörperte, bestanden. Nichts deute darauf hin, dass X wegen seiner schauspielerischen oder sonstigen Leistungen, durch die er zu einem Personenkreis gehöre, über den ein kontinuierliches allgemeines Informationsbedürfnis bestehe, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehe. Jedenfalls würde das Interesse in Bezug auf X nicht über das übliche Interesse hinausgehen, das die Öffentlichkeit Hauptdarstellern von deutschen Serienfiguren entgegenbringe.

22. Das Gericht stellte fest, dass die Beschwerdeführerin zahlreiche Artikel über X präsentiert hatte, die aus einem Zeitraum von sechs Jahren stammten, wobei der Schwerpunkt auf den letzten drei Jahren liege. Die ganz überwiegende Zahl dieser Veröffentlichungen beschränke sich aber auf die schlichte Erwähnung des Namens des Schauspielers – häufig ohne Foto – in der Aufzählung weiterer Gäste auf Prominenten-Parties. Die unbestrittene Tatsache, dass X in über 200 nationalen und internationalen Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt habe, sage über dessen öffentliche Bedeutung wenig aus. Schauspieler könnten in der Tat an hunderten von Fernsehserien mitgewirkt haben und dabei gleichwohl weithin unbekannt sein. Es sei nicht ersichtlich, dass X sich durch besondere Leistungen hervorgetan hätte oder in der Gesellschaft eine hervorgehobene Stellung einnähme, aufgrund derer er besonders im Blickpunkt der Öffentlichkeit stünde.

23. X habe in gewissem Umfang das Licht der Öffentlichkeit gesucht, als er bestimmten Zeitschriften zwischen 2000 und 2003 Interviews gegeben habe. Damit müsse er eher als Prominente, die gänzlich zurückgezogen lebten, eine Berichterstattung über seine Person hinnehmen. Nach Ansicht des Gerichts hatte sich X jedoch nicht in einem Ausmaß in die Öffentlichkeit begeben, dass er sich implizit seines Rechts auf Schutz seiner Persönlichkeit begeben hätte.

24. Außerdem räumte das Landgericht ein, dass die Tatsache, dass der Schauspieler einen Rechtsbruch begangen hat und gerade die Figur eines Polizeikommissars verkörperte, der Rechtsverstöße aufzudecken hatte, für die Öffentlichkeit von größerem Unterhaltungsinteresse sei, als wenn der Schauspieler in irgendeine andere Rolle geschlüpft wäre. Diese Diskrepanz zwischen dem Rollenbild und der persönlichen Lebensführung des Schauspielers bedeute indes nicht, dass dieser von der Öffentlichkeit mit der fiktiven Person verwechselt werde. X schlüpfe nur in die Person des Kommissars, so wie er auch in jede andere Rolle schlüpfen könnte, ohne dass er sodann in seinem Alltag für dessen Lebenshaltung stünde. Die Tatsache, dass ein Schauspieler die Lebensgestaltung nicht der jeweils von ihm dargestellten Rolle anpasse, sei kein überragend berichtenswertes Ereignis. Nach Ansicht des Gerichts konnte das Publikum aber zwischen dem Schauspieler und seiner Rollenfigur unterscheiden, selbst wenn die Popularität dieses Schauspielers überwiegend auf der Verkörperung einer einzigen Figur beruhe.

25. Das Landgericht war im Übrigen der Ansicht, dass X sich nicht als moralisches Vorbild inszeniert und gerade zu Fragen des Drogenkonsums nicht dezidiert Stellung genommen habe. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Interviews würden keine Äußerungen von X zu diesem Thema enthalten. In der Ausgabe […] der Zeitschrift […] habe X eher beiläufig darauf hingewiesen, dass er keinen Alkohol in seiner Wohnung habe und zum Teekenner geworden sei. Dass sich der Betroffene in den Jahren 2000 und 2001 in zwei Interviews kurz über seine Vorstrafe geäußert habe, bedeutet dem Gericht zufolge nicht, dass er sich als ausgesprochener Kämpfer für oder gegen Rauschmittel oder als Experte in der Sache geriert hätte. Diese Themen seien vielmehr eher am Rande des Interviews gestreift worden, bei dem es überwiegend um die beruflichen Pläne und die Beziehungsprobleme des Schauspielers gegangen sei.

26. Das Landgericht hob hervor, dass bei der Abwägung der in Rede stehenden Interessen den Kriterien „Bekanntheitsgrad des X“ und „Gewicht der vorgeworfenen Tat“ die entscheidende Bedeutung zukam, wobei es der Ansicht war, dass es sich im vorliegenden Fall um einen keineswegs überragend bekannten Schauspieler handelte, dem eine wenig spektakuläre, aber auch nicht unbedeutende Straftat vorgeworfen wurde, die „szenetypisch“ sein mag. An einem insgesamt unspektakulären Sachverhalt habe kein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit bestanden, obwohl die Berichterstattung einen gravierenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht von X bedeutet habe.

27. Das Landgericht vertrat schließlich die Auffassung, die Beschwerdeführerin könne sich nicht darauf berufen, dass die Veröffentlichung des Artikels nicht rechtswidrig gewesen sei, weil sie in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt habe. Zwar sei es zutreffend, dass der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft München einer Vielzahl von Medien über die gegen X erhobenen Vorwürfe berichtet und hierbei dessen Identität bekannt gegeben habe. Es könne auch keinem Zweifel unterliegen, dass die Staatsanwaltschaft als „privilegierte Quelle“ von Informationen angesehen werden könne, die generell keiner Überprüfung bezüglich ihres Wahrheitsgehalts bedürften. Zudem hätten drei Presseagenturen ähnliche Informationen verbreitet. Selbst wenn man indes unterstelle, dass die Beschwerdeführerin alle diese Informationen vor der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Artikels erhalten hatte, konnte sie damit lediglich davon ausgehen, dass die fraglichen Informationen zutreffend waren, ohne jedoch von der Pflicht befreit gewesen zu sein zu verifizieren, ob ihre Veröffentlichung im Lichte des Persönlichkeitsrechtes von X gerechtfertigt war. Nach Ansicht des Gerichts muss nämlich die Frage des Wahrheitsgehalts einer Mitteilung, die von staatlichen Stellen stammt, von derjenigen unterschieden werden, die die Rechtmäßigkeit einer späteren Verbreitung dieser Mitteilung durch die Presse betrifft.

28. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass davon ausgegangen werden konnte, dass amtliche Stellen und insbesondere die Staatsanwaltschaft und die Polizei aufgrund des Neutralitätsgebotes bemüht waren, Mitteilungen nur dann weiterzugeben, nachdem sie eine sorgfältige Abwägung der Interessen von Öffentlichkeit und Betroffenen vorgenommen haben. Diese Stellen seien nicht notwendigerweise eher in der Lage als ein Presseorgan, eine Interessenabwägung im Hinblick auf die Verbreitung dieser Mitteilungen durch die Medien vorzunehmen.

29. Im vorliegenden Fall hätten der Bekanntheitsgrad des X und die Frage des öffentlichen Interesses an einer Meldung über seine Festnahme von der Beschwerdeführerin besser beurteilt werden können als von einem Mitglied der Staatsanwaltschaft München. In diesem Zusammenhang war das Gericht der Ansicht, dass auch der Kontext in der konkreten Veröffentlichung zu berücksichtigen sei: Es sei amtlichen Stellen nicht möglich, jede denkbare Art der Veröffentlichung der Sachinformationen in jedem denkbaren Kontext gedanklich vorwegzunehmen oder darüber zu befinden, ob eine identifizierende Berichterstattung zulässig wäre. Daher hätten sich die Presseorgane nicht generell darauf verlassen können, dass eine von einer privilegierten Quelle vorgenommene Identifizierung jede Art von Berichterstattung über die betroffene Person zulässig macht, ohne zuvor eine Abwägung der Interessen vorgenommen zu haben.

30. Das Landgericht weist darauf hin, dass es Fälle gibt, in denen an der von einer amtlichen Stelle vorgenommenen Abwägung gezweifelt werden könne. So habe man sich im Falle des X fragen können, ob es angebracht war, dass sich die Staatsanwaltschaft zu dem von X zu erwartenden Strafmaß geäußert hatte, obgleich das Ermittlungsverfahren gerade erst begonnen hatte. Das Gericht folgerte daraus, die Beschwerdeführerin könne nicht behaupten, dass sie der Bekanntgabe des Namens von X durch die Staatsanwaltschaft vertraut habe.

ii. Das Urteil des Oberlandesgerichts

31. Mit Urteil vom 21. März 2006 wies das Oberlandesgericht die Klage der Beschwerdeführerin ab, setzte jedoch den Betrag der gegen die Beschwerdeführerin verhängten Vertragsstrafe auf 1.000 EUR herab. Unter Hinweis darauf, dass es sich den Schlussfolgerungen des Landgerichts anschließt, rief es in Erinnerung, dass eine Berichterstattung über eine Straftat unter Namensnennung des Beschuldigten regelmäßig eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen darstellt, selbst wenn es sich um einen mittelschweren oder leichten Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz handeln würde. Im Fall des X könne die Tatsache, dass die Öffentlichkeit über seinen Kokainkonsum informiert wird, negative Konsequenzen für die künftige Vergabe von Rollen an den Schauspieler haben, und insbesondere seine Mitwirkung an Werbefilmen oder TV-Serien, die sich an jugendliche Zuschauer richten.

32. Das Oberlandesgericht verweist auf die bei der Abwägung der Presserechte und dem Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigenden einschlägigen Maßstäbe, die der Bundesgerichtshof festgeschrieben hat (Rdnr. 48 unten). Es bestätigte, dass der Charakter der Straftat sowie die konkreten Umstände ihrer Begehung nicht aus dem Rahmen alltäglicher Kriminalität fielen und ohne jedes Interesse wären, sofern der Täter ein Unbekannter gewesen wäre. Nach seiner Ansicht haben der Besitz und der Verbrauch geringer Mengen von Betäubungsmitteln keine schädigenden Folgen für andere Personen oder die Allgemeinheit. Da X Kokain nicht im Festzelt vor den Augen der Öffentlichkeit konsumiert habe, resultiere aus seinem Verhalten auch keine Gefährdung jugendlicher Zuschauer, die in Anbetracht seiner Bekanntheit zur Nachahmung hätten veranlasst werden können.

33. Das Oberlandesgericht räumte ein, dass ein besonderes Informations- und Unterhaltungsinteresse bestand, da X einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewesen sei und über einen längeren Zeitraum die Figur eines Kriminalkommissars verkörpert habe, somit eine Figur, die in den Filmen für Recht und Ordnung eintrat. Selbst wenn X die Rolle dieses Kommissars gespielt habe, führe dies jedoch nicht dazu, dass er selbst dadurch zwangsläufig Idol- oder Vorbildcharakter als Ordnungshüter erlangt habe, was das Interesse der Öffentlichkeit hätte erhöhen können zu erfahren, ob er in seinem Privatleben mit dieser Figur übereinstimmte. Es sei nämlich offensichtlich gewesen, dass der Schauspieler X nicht mit dem von ihm verkörperten Kommissar Y identifiziert werden konnte. Die Existenz von Fanclubs und öffentlichen Auftritten des X als Darsteller des Kommissars Y würden an dieser Feststellung nichts ändern. Es möge zwar sein, dass das Aussehen von X, sein Auftreten und die in den Filmen zur Schau gestellte lockere Haltung andere, insbesondere junge Menschen anziehe. Dies bedeute jedoch nicht, dass diese ihn als moralische Instanz ansehen würden, deren Bild mit der angegriffenen Berichterstattung berichtigt werden müsste.

34. Das von der Beschwerdeführerin eingereichte Pressematerial zeuge zwar von einer hohen Popularität des X, nicht aber davon, dass dieser sich mit Eröffnungen aus seinem Privatleben an das Licht der Öffentlichkeit gedrängt hätte. Die Berichterstattung sei auch nicht deshalb zulässig, weil die Festnahme des X in aller Öffentlichkeit im Festzelt stattgefunden hatte, da die Einnahme des Rauschgiftes in der Herrentoilette stattfand, d.h. in einem geschützten Privatbereich, der für die Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar war. Selbst wenn schließlich davon auszugehen sei, dass die Festnahme des X von hohem öffentlichen Interesse war, gelte dies nicht auch für die Beschreibung und Benennung des Delikts, welches der Öffentlichkeit verbogen geblieben war.

35. In Bestätigung der Schlussfolgerungen des Landgerichts zur Rolle der Staatsanwaltschaft München führt das Oberlandesgericht schließlich aus, dass der Beschwerdeführerin nur ein geringes Verschulden vorgeworfen werden könne, da die von der Staatsanwaltschaft mitgeteilten Informationen sie hätten veranlassen können, davon auszugehen, dass die streitige Berichterstattung zulässig war. Die rechtswidrige Verbreitung durch die Staatsanwaltschaft führe jedoch nicht zu einer Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung durch die Beschwerdeführerin. Infolgedessen setzte das Oberlandesgericht den Betrag der Vertragsstrafe auf 1.000 EUR herab. Es lies die Revision nicht zu, da seine Entscheidung nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehe.

iii. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs

36. Der Bundesgerichtshof hat am 7. November 2006 die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Nichtzulassung der Revision mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Rechtssache nicht von grundsätzlicher Bedeutung und für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich sei.

37. Am 11. Dezember 2006 wies er die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin zurück. Er unterstrich, dass das Berufungsgericht bei der Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung über ein öffentliches Strafverfahren gegen den Einbruch in den Persönlichkeitsbereich des Angeklagten die Umstände des Einzelfalles berücksichtigt und seine Entscheidung unter Zugrundelegung der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien getroffen habe. Eine Verkennung der einschlägigen Abwägungskriterien sei nicht gegeben. Der Bundesgerichtshof führte aus, dass die Tatsache, dass die Schlussfolgerungen der Zivilgerichte der Sichtweise der Beschwerdeführerin nicht entsprechen würden, eine Revision nicht rechtfertigen würde und dadurch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör begründet würde.

2. Das zweite Verfahren

a) Das Verfügungsverfahren

38. Im Rahmen eines Verfahrens betreffend eine einstweilige Verfügung gab das Landgericht am 15. August 2005 dem Begehren von X auf Untersagung jeder weiteren Veröffentlichung des zweiten Artikels statt.

b) Das Hauptsacheverfahren

i. Das Urteil des Landgerichts

39. Mit Urteil vom 5. Mai 2006 gab das Landgericht der Klage des X in dem Hauptsacheverfahren statt und verurteilte die Beschwerdeführerin unter Androhung eines Ordnungsgeldes, jede weitere Veröffentlichung des zweiten Artikels zu unterlassen und den Betrag von 449,96 EUR zuzüglich der gesetzlichen Zinsen seit dem 22. September 2005 für die Kosten zu zahlen. Es stützte sich im Wesentlichen auf die gleichen Gründe, die es auch in seinem Urteil vom 11. November 2005 angeführt hatte (Rdnrn. 18-30 oben). Es wies darauf hin, dass die Rechtssache von dem Fall zu unterscheiden sei, der Gegenstand des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 15. November 2005 (Rdnr. 48 oben) gewesen sei, denn der von diesem letztgenannten Urteil Betroffene, H., genieße ein ganz erheblich höheres Maß an Prominenz als X, was die Presse berechtige, über die in jenem Fall in Rede stehende gewichtige Ordnungswidrigkeit zu berichten.

ii. Das Urteil des Oberlandesgerichts

40.  Die Beschwerdeführerin legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Am 12. September 2006 wies das Hanseatische Oberlandesgericht diese Berufung weitgehend aus denselben Gründen zurück, die in seinem Urteil vom 21. März 2006 dargelegt sind (Rdnrn. 31-35 oben). Bezüglich der einschlägigen Kriterien bei der Interessenabwägung führte es aus, dass dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2006 zufolge (Rdnr. 49 unten) aus dem Faktum der Prominenz oder öffentlichen Bekanntheit einer Person noch nicht ein Interesse an einer Information der Öffentlichkeit über ihr Verhalten folge. Im vorliegenden Fall reiche das aus dem Umstand, dass X bekannt sei und über einen längeren Zeitraum die Figur eines Kriminalkommissars verkörperte, resultierende öffentliche Informations- und Unterhaltungsinteresse nicht aus, den Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu rechtfertigen.

41. Soweit die Beschwerdeführerin die hohen Einschaltquoten der Fernsehserie Y vorgebracht hatte, vertrat das Oberlandesgericht die Auffassung, dies würde nicht belegen, dass X eine Leitbild- oder Kontrastfunktion zukomme. Wenn für ein Millionenpublikum ein Leitbild bestehe, beziehe sich dies auf die Figur des Kommissars. Das Oberlandesgericht erinnerte ebenfalls daran, dass die Berichterstattung auch nicht etwa deshalb zulässig sei, weil die Festnahme von X in aller Öffentlichkeit stattgefunden hat, da die Straftat für die Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar in der Herrentoilette begangen worden sei. Die verdächtige Handbewegung des X habe zwar die Aufmerksamkeit der Polizisten vor Ort geweckt, aber es sei nicht erwiesen, dass andere in dem Zelt anwesende Personen bemerkt hätten, dass X Kokain konsumierte.

42. Das Oberlandesgericht fügte hinzu, dass der Vorfall zwar auch Gegenstand der Berichterstattung der „seriösen Presse“ war und anzeigen mochte, dass ein nicht geringes Berichterstattungsinteresse bestand, sich jedoch hieraus keine Rückschlüsse auf die Rechtmäßigkeit des erfolgten Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht von X ziehen ließen.

43. Das Oberlandesgericht ließ die Revision nicht zu, weil seine Entscheidung nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht, insbesondere zu dessen Urteil vom 15. November 2005 (Rdnr. 48 unten).

iii. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs

44. Der Bundesgerichtshof hat am 17. April 2007 die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Nichtzulassung der Revision mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Rechtssache nicht von grundsätzlicher Bedeutung und für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich sei. Am 12. Juni 2007 wies es die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin zurück.

3. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

45. Am 5. März 2008 beschloss eine mit drei Richtern besetzte Kammer des Bundesverfassungsgerichts, die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerin gegen die in dem ersten und dem zweiten Verfahren ergangenen Gerichtsentscheidungen nicht zur Entscheidung anzunehmen. Es führte aus, dass es von einer Begründung seiner Entscheidung absehe.

4. Die anderen Gerichtsentscheidungen betreffend die Beschwerdeführerin

46. Am 12. September 2006 und 29. Januar 2008 verurteilte das Landgericht Hamburg die Beschwerdeführerin wegen Verstoßes gegen die Verfügung vom 15. August 2005, X zwei Ordnungsgelder in Höhe von jeweils 5.000 EUR zu zahlen (Rdnr. 38 oben). Das Gericht warf der Beschwerdeführerin insbesondere vor, in der Tageszeitung […] und auf der Internetseite dieser Zeitung […] die folgende Erklärung eines ihrer Chefredakteure veröffentlicht zu haben:

„So durften wir über den Kokain-Prozeß des populären Schauspielers X in keiner Weise identifizierend berichten, obwohl er Wiederholungstäter war, dazu weithin bekannt und Tatort das Münchner Oktoberfest.“

II. DAS EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE RECHT UND DIE EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE PRAXIS UND DIE EINSCHLÄGIGEN EUROPÄISCHEN DOKUMENTE

A. Das innerstaatliche Recht und die innerstaatliche Praxis

1. Das Bürgerliche Gesetzbuch

47. Wer nach § 823 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

Wird nach § 1004 Absatz 1 das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

2. Die einschlägige Rechtsprechung

48. In seinem Urteil vom 15. November 2005 (VI ZR 286/04) hat der Bundesgerichtshof an seine ständige Rechtsprechung erinnert, wonach als entscheidende Kriterien für die Abwägung der Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung die Art der Straftat und die Person des Täters gelten. Diesem Fall lag ein von einem französischen Gericht gegen Unbekannt verhängtes Bußgeld und Fahrverbot wegen Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Autobahn zugrunde (211 km/h statt 130 km/h). Der Bundesgerichtshof hob hervor, dass einerseits die Geschwindigkeitsüberschreitung derart erheblich sei, so dass in ihr eine krasse Missachtung bestehender Verkehrsregeln zum Ausdruck komme, und andererseits von dieser Tat erhebliche Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer ausgingen. Außerdem würden sowohl das bisherige Verhalten des Betroffenen in der Öffentlichkeit selbst wie auch seine Herkunft und die Tatsache, dass er der Ehemann einer sehr bekannten Persönlichkeit ist, den Schluss zulassen, dass das Interesse der Presse an einer aktuellen Berichterstattung Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen genießen muss. Der Bundesgerichtshof legte dar, dass das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache H. ./. Deutschland vom 24. Juni 2004 (Nr. 59320/00, CEDH 2004-VI) nicht zu einer anderen Beurteilung führe. Bei dieser Berichterstattung (und den Fotos), die Gegenstand dieses Urteils waren, sei es nur um Szenen des Alltagslebens von H. gegangen und sie hätte lediglich dazu gedient, die Neugier eines bestimmten Publikums über deren Privatleben zu befriedigen.

49. Mit Entscheidung vom 13. Juni 2006 (1 BvR 565/06) beschloss eine mit drei Richtern besetzte Kammer des Bundesverfassungsgerichts, die gegen dieses Urteil des Bundesgerichtshofs gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, und bestätigte dessen Schlussfolgerungen.

B. Vom Europarat angenommene Texte

1. Die Empfehlung Rec(2003)13 des Ministerkomitees

50. Die einschlägigen Passagen der Empfehlung Rec(2003)13 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Verbreitung von Informationen durch die Medien im Zusammenhang mit Strafverfahren, die am 10. Juli 2003 in der 848. Sitzung der Stellvertreter der Minister angenommen wurde, lauten wie folgt:

„(…)

in der Erinnerung daran, dass angesichts des Rechts der Öffentlichkeit, Informationen zu erhalten, einschließlich Informationen über Fragen von öffentlichem Interesse, die Medien in Anwendung des Artikels 10 der Konvention das Recht haben, die Öffentlichkeit zu informieren, und von Berufs wegen dazu verpflichtet sind;

in der Erinnerung daran, dass die Rechte auf Unschuldsvermutung, ein faires Verfahren und Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Artikel 6 und 8 der Konvention grundlegende Erfordernisse darstellen, die in jeder demokratischen Gesellschaft beachtet werden müssen;

unter Hinweis auf die Bedeutung von Medienberichten über Strafverfahren, um die Öffentlichkeit zu informieren, die Abschreckungsfunktion des Strafrechts sichtbar zu machen und der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, ihr Recht auf Information über die Arbeit des Strafjustizsystems wahrzunehmen;

in der Erwägung der durch Artikel 6, 8 und 10 der Konvention geschützten, gegebenenfalls konfliktuellen Interessen und der Notwendigkeit, angesichts der Umstände jedes Einzelfalls ein Gleichgewicht zwischen diesen Rechten sicherzustellen, unter angemessener Berücksichtigung der Kontrollfunktion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, um die Achtung der im Namen der Konvention eingegangenen Verpflichtungen zu gewährleisten;

(…)

empfiehlt den Regierungen der Mitgliedstaaten, die Unterschiede der innerstaatlichen Regelungen zum Strafverfahren anerkennend,

1. alle Maßnahmen zu ergreifen oder gegebenenfalls zu verstärken, die sie in den Schranken ihrer jeweiligen Verfassungsbestimmungen für die Umsetzung der Grundsätze im Anhang zu dieser Empfehlung für notwendig erachten,

(…)

Anhang zur Empfehlung Rec(2003)13

Grundsätze der Verbreitung von Informationen durch die Medien bezüglich Strafverfahren

Grundsatz 1 – Information der Öffentlichkeit durch die Medien

Die Öffentlichkeit muss über die Medien Informationen über die Tätigkeit der Justizbehörden und der Polizeidienste erhalten können. Die Journalisten müssen daher über die Arbeitsweise des Strafgerichtssystems frei berichten und es kommentieren dürfen, vorbehaltlich einzig der in den nachfolgenden Grundsätzen angeführten Einschränkungen.

Grundsatz 2 – Unschuldsvermutung

Die Einhaltung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung ist Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren.

Meinungen und Informationen, die laufende Strafverfahren betreffen, sollten daher nur über die Medien mitgeteilt oder verbreitet werden, wenn dadurch die Unschuldsvermutung der tatverdächtigen oder angeklagten Person nicht beeinträchtigt wird.

Grundsatz 3 – Wahrhaftigkeit der Information

Die Justizbehörden und die Polizeidienste sollten den Medien nur Informationen geben, die erhärtet sind oder auf vernünftigen Vermutungen gründen. Letztere sollten den Medien gegenüber eindeutig als solche angegeben werden.

Grundsatz 4 – Zugang zur Information

Haben Journalisten im Rahmen von Strafverfahren rechtmäßig Informationen von Justizbehörden oder Polizeidiensten erhalten, so müssen diese Behörden und Dienste diese Informationen diskriminierungsfrei allen Journalisten zur Verfügung stellen, die das Gleiche anfordern oder angefordert haben.

(…)

Grundsatz 8 – Schutz des Privatlebens im Zusammenhang mit laufenden Strafverfahren

Die Bereitstellung von Informationen über tatverdächtige, angeklagte oder verurteilte Personen und andere Parteien in den Strafverfahren sollte das Recht auf Schutz des Privatlebens gemäß Artikel 8 der Konvention beachten. Ein besonderer Schutz sollte dabei Minderjährigen oder anderen schutzbedürftigen Personen, Opfern, Zeugen und Familien von tatverdächtigen, angeklagten oder verurteilten Personen geboten werden. Besondere Aufmerksamkeit sollte in jedem Fall den nachteiligen Folgen geschenkt werden, die die Verbreitung der Informationen, die zu einer Identifizierung der Person führen können, für die unter diesem Grundsatz genannten Personen haben können.“

2. Die Entschließung 1165 (1998) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats über das Recht auf Achtung des Privatlebens

51. Die einschlägigen Passagen dieser von der Parlamentarischen Versammlung am 26. Juni 1998 angenommenen Entschließung lauten wie folgt:

„(…)

6. Die Versammlung ist sich bewusst, dass es oft zu Eingriffen in die persönliche Privatsphäre kommt, selbst in Ländern mit speziellen Gesetzen zum Schutz dieser Privatsphäre, da das Privatleben von Menschen zu einer höchst lukrativen Angelegenheit für einige Mediensparten geworden ist. Die Opfer sind im Wesentlichen Personen des öffentlichen Interesses, da Einzelheiten über ihr Privatleben als verkaufsfördernde Anreize dienen. Gleichzeitig müssen Personen, die im öffentlichen Interesse stehen, sich darüber bewusst sein, dass ihr Privatleben aufgrund ihrer besonderen Stellung, die sie oft infolge ihrer eigenen Entscheidung einnehmen, automatisch stärkeren Belastungen ausgesetzt ist.

Die Personen, die im öffentlichen Interesse stehen, sind Personen, die ein öffentliches Amt bekleiden und/oder öffentliche Mittel in Anspruch nehmen und – noch genereller gesehen – alle diejenigen, die eine Rolle im öffentlichen Leben spielen, sei es in der Politik, der Wirtschaft, der Kunst, im Sozialbereich, im Sport oder in anderen Bereichen.

8. Eingriffe in die Privatsphäre von Menschen durch die Medien geschehen oft unter Inanspruchnahme einer einseitigen Auslegung des in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Rechts auf freie Meinungsäußerung, wobei die Medien der Auffassung sind, dass ihre Leser das Recht haben, alles über diese Personen des öffentlichen Interesses zu erfahren.

9. Bestimmte Fakten in Bezug auf das Privatleben von Personen des öffentlichen Interesses, insbesondere von Politikern, können in der Tat für die Bürger von Interesse sein, und es kann daher für Leser, die ebenfalls Wähler sind, ein berechtigtes Anliegen sein, über diese Fakten informiert zu werden.

10. Es ist daher notwendig, einen Weg zu finden, um die Ausübung von zwei Grundrechten, die beide in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind, nämlich das Recht auf Wahrung der Privatsphäre und das Recht der freien Meinungsäußerung, miteinander in Einklang zu bringen.

11. Die Versammlung bekräftigt, dass das Recht auf Privatsphäre und das Recht der freien Meinungsäußerung von grundlegender Bedeutung für eine demokratische Gesellschaft sind. Diese Rechte sind weder absolute Rechte noch stehen sie in einer bestimmten Rangordnung zueinander, denn sie besitzen alle den gleichen Stellenwert.

12. Die Versammlung weist jedoch darauf hin, dass das Recht auf Privatsphäre, wie in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert, nicht nur den einzelnen vor Eingriffen durch öffentliche Behörden, sondern auch vor Eingriffen durch Privatpersonen oder Institutionen, einschließlich der Massenmedien schützen sollte.

13. Die Versammlung ist der Ansicht, dass nachdem alle Mitgliedstaaten mittlerweile die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert haben und nachdem viele nationale Gesetzgebungen Regelungen vorsehen, die diesen Schutz gewährleisten, keine Notwendigkeit besteht vorzuschlagen, ein neues Übereinkommen, welches das Recht auf Privatsphäre garantiert, zu verabschieden. (…)“

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. DIE ABTRENNUNG DER BESCHWERDE

52. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Große Kammer, bevor er die Sache an sie abgegeben hat, diese Beschwerde mit den Beschwerden H. ./. Deutschland (Nrn. 40660/08 und 60641/08 – Rdnr. 3 oben) verbunden hatte. Angesichts jedoch der Art des Sachverhalts und der in diesen Rechtssachen in Rede stehenden Grundsatzfragen hält es die Große Kammer für angezeigt, die Beschwerden Nrn. 40660/08 und 60641/08 von dieser Beschwerde abzutrennen.

II. DIE BEHAUPTETE VERLETZUNG DES ARTIKELS 10 DER KONVENTION

53. Die beschwerdeführende Gesellschaft rügt das Verbot, über die Festnahme und die Verurteilung des X zu berichten. Sie beruft sich auf Artikel 10 der Konvention, dessen einschlägiger Passus wie folgt lautet:

„(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. (…)

(2) Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind (…) zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, (…) oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.“

A. Zur Zulässigkeit

54. Der Gerichtshof stellt fest, dass die vorliegende Rüge im Sinne von Artikel 35 Absatz 3 Buchstabe a der Konvention nicht offensichtlich unbegründet ist. Er hebt außerdem hervor, dass ein anderer Unzulässigkeitsgrund ebenfalls nicht erkennbar ist. Die Beschwerde ist daher für zulässig zu erklären.

B. Zur Hauptsache

1. Vorbringen der Parteien

a) Die Regierung

55. Die Regierung räumt ein, dass die streitigen Gerichtsentscheidungen einen Eingriff in die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung der Beschwerdeführerin darstellen. Dieser Eingriff sei jedoch gesetzlich vorgesehen gewesen und habe ein vom Gerichtshof als legitim anerkanntes Ziel, nämlich den Schutz der Privatsphäre, verfolgt (News Verlags GmbH & Co.KG ./. Österreich, Nr. 31457/96, Rdnr. 44, CEDH 2000‑I). Streitig sei im vorliegenden Fall die Frage, ob der Eingriff verhältnismäßig war, insbesondere ob die Abwägung des Rechts der Beschwerdeführerin auf freie Meinungsäußerung und des Rechts von X auf Achtung seines Privatlebens den durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs herausgearbeiteten Kriterien entsprach. In dieser Hinsicht seien insbesondere die Rolle der von der Berichterstattung betroffenen Person, deren Gegenstand und die Schwere der gegen die Presse verhängten Sanktion zu berücksichtigen.

56. Die Regierung bringt vor, dass die innerstaatlichen Gerichte festgestellt haben, dass X anders als der Kommissar Y als Person in der Öffentlichkeit eher unbekannt gewesen und daher nicht als „öffentliche Person“ zu qualifizieren sei. In seinem Urteil zum zweiten Artikel habe das Landgericht im Übrigen X gegenüber H. abgegrenzt (Rdnr. 39 oben). Die von X der Presse gegebenen Interviews hätten allein nicht ausgereicht, um das Informationsinteresse an seiner Person zu erhöhen. Der Regierung zufolge sollte es den nationalen Richtern obliegen, den Bekanntheitsgrad einer Person zu beurteilen. Dies treffe insbesondere in Grenzfällen zu, die eine Beurteilung von tatsächlichen Faktoren und gesellschaftlichen Verhältnissen erfordere, die der Gerichtshof nicht für alle potentiellen öffentlichen Personen in 47 Staaten beurteilen könne.

57. In Bezug auf den Gegenstand der Berichterstattungen erkennt die Regierung an, dass die Presse, wenn sie über die Begehung von Straftaten berichtet, in der Regel ihre Rolle als „Wachhund“ wahrnimmt, insbesondere dann, wenn es sich um den Verlauf eines Strafverfahrens handelt. Das öffentliche Interesse sei in diesem Fall größer als wenn die Presse nur über Details aus dem Privatleben einer Person berichte. Im vorliegenden Fall habe die Öffentlichkeit jedoch kein Interesse an Informationen über die von X begangene Straftat gehabt, die nicht von der Person des Angeklagten habe getrennt werden können. Der vorliegende Fall habe nicht die Funktionsfähigkeit des Justizsystems in Zweifel gezogen, wie etwas in der Sache Oboukhova ./. Russland (Nr. 34736/03, 8. Januar 2009), sondern sich nur auf einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz ohne besondere Schwere, den ein mehr oder weniger bekannter Schauspieler begangen hat, bezogen.

58. Die Gewichtung der Schwere der Straftat müsse in den Ermessenspielraum der nationalen Behörden fallen. Die Richter hätten vorliegend die Straftat als weniger schwerwiegend, also als gering eingestuft. Die Regierung führt aus, dass der Betrag der Geldstrafe angesichts des Einkommens von X recht hoch gewesen sei. Das Strafgericht habe diesen Betrag auf 90 Tagessätze festgesetzt, so dass diese Straftat nicht in das (für Arbeitgeber bestimmte) Führungszeugnis von X aufgenommen oder als Vorstrafe gelten würde.

59. Die Regierung bestreitet im Übrigen die Behauptung der Beschwerdeführerin, derzufolge der Staatsanwalt in München vor der Veröffentlichung des ersten Artikels eine Pressekonferenz zur Festnahme des X abgehalten und eine Pressemitteilung darüber veröffentlicht hat (siehe Rdnr. 69 unten).

60. In Bezug auf die Art der gegen die Beschwerdeführerin verhängten Sanktion unterstreicht die Regierung, dass dieser lediglich die Veröffentlichung des Inhalts der streitgegenständlichen Artikel untersagt und sie zur Erstattung recht geringer Gerichtskosten verurteilt worden sei. Es sei weder eine strafrechtliche Sanktion gegen die Beschwerdeführerin verhängt worden, noch sei sie zu Schadensersatz verurteilt worden, im Unterschied zu Verlegern in anderen Fällen, in denen Freiheitsstrafen, Berufsverbot gegen Journalisten, Einziehung der gesamten Ausgabe einer Zeitung und Verurteilungen zur Zahlung von hohen Schadensersatzleistungen ausgesprochen worden seien (siehe Cumpănă und Mazăre ./. Rumänien [GK], Nr. 33348/96, Rdnr. 112, CEDH 2004‑XI ; Wirtschafts-Trend Zeitschriften-Verlags GmbH ./. Österreich, Nr. 58547/00, Rdnr. 41, 27. Oktober 2005; und Flinkkilä und andere ./. Finnland, Nr. 25576/04, Rdnr. 89, 6. April 2010). Die Regierung fügt hinzu, dass die deutschen Gerichte schließlich nicht jegliche Berichterstattung über die Festnahme und das Verfahren des X untersagt haben; problematisch sei, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt seiner Festnahme und vor der Verhandlung seinen Namen bekanntgegeben habe.

61. Die Regierung stellt nachdrücklich auf den Einschätzungsspielraum ab, der dem Staat im vorliegenden Fall zur Verfügung stehe. Dieser Spielraum hänge von der Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und dem Ziel der Einschränkungen ab. In seiner jüngeren Rechtsprechung habe der Gerichtshof im Übrigen in Rechtssachen zu Artikel 8 der Konvention den Staaten einen weiten Einschätzungsspielraum zuerkannt (Armonienė ./. Litauen, Nr. 36919/02, Rdnr. 38, 25. November 2008, und A. ./. Nowegen, Nr. 28070/06, Rdnr. 66, 9. April 2009). Der Spielraum der Staaten sei angesichts eines fehlenden Konsenses auf europäischer Ebene in der Regel größer. Nach Ansicht der Regierung gibt es zwar eine Tendenz zur Angleichung der Rechtsordnungen in Europa, aber es bestünden dennoch Unterschiede fort, wie das Scheitern der Verhandlungen zur Annahme einer Verordnung der Europäischen Union betreffend Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse zeige (Verordnung EG 864/2007 vom 11. Juli 2007 – Rom II-Verordnung). Der Spielraum sei ebenfalls weit, wenn die nationalen Behörden einen Ausgleich zwischen widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen oder zwischen Konventionsrechten herbeizuführen haben (Evans ./. Vereinigtes Königreich [GK], Nr. 6339/05, Rdnr. 77, CEDH 2007‑IV, und Dickson ./. Vereinigtes Königreich [GK], Nr. 44362/04, Rdnr. 78, CEDH 2007‑XIII). Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ginge im Übrigen in die gleiche Richtung (Urteile Omega vom 14. Oktober 2004, C-36/02, und Schmidberger vom 12. Juni 2003, C‑112/00).

62. Die Regierung behauptet, dass die Besonderheit von Fällen wie dem vorliegenden, in denen die nationalen Gerichte die Rechte und Interessen von zwei oder mehreren Personen abwägen müssen, darin bestehe, dass das Verfahren vor dem Gerichtshof als eine Fortsetzung des innerstaatlichen Verfahrens gilt, wobei jede der Parteien die Möglichkeit habe, den Gerichtshof anzurufen. Genau aus diesem Grund genüge für die Abwägung der in Rede stehenden Interessen nicht eine einzige Lösung, sondern es müsse einen „Korridor“ von Lösungen geben, innerhalb dessen Grenzen das innerstaatliche Gericht eine Möglichkeit finden sollte, konventionsrechtlich zulässige Entscheidungen zu treffen. Andernfalls müsste der Gerichtshof selbst über jede dieser Rechtssachen entscheiden, was kaum seine Aufgabe sein dürfte.

63. Die Regierung erläutert, dass eine solche Entwicklung auf innerstaatlicher Ebene etwas abgebremst werden konnte, weil das Bundesverfassungsgericht den Fachgerichten insoweit einen Einschätzungsspielraum zugestehe und gerade nicht jede Abwägung selbst vornehme. Dies könnte auch die fehlende Begründung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im vorliegenden Fall erklären. Die Tendenz, auf nationaler Ebene die Kontrolldichte eines Verfassungsgerichts zurückzunehmen, müsse erst recht für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gelten, der die von den Gerichten der 47 Vertragsstaaten vorgenommenen Abwägungen zu prüfen habe, worunter sich noch sehr heterogene Rechtsordnungen befänden.

64. Der Regierung zufolge darf der Gerichtshof nur eingreifen, wenn innerstaatliche Gerichte bestimmte besondere Umstände in ihre Abwägung eingestellt haben oder wenn das Abwägungsergebnis offensichtlich unverhältnismäßig ist (siehe z.B. Cumpănă und Mazăre, a.a.O., Rdnrn. 111-120). Diese Schlussfolgerung werde im Übrigen durch Artikel 53 der Konvention bestätigt: Wenn sich Staat und Individuum gegenüberstünden, bedeute ein Freiheitsgewinn für das Individuum lediglich eine Einschränkung der Eingriffsmöglichkeiten des Staates, in dem Verhältnis zwischen zwei Individuen bedeute Freiheitsgewinn des einen Freiheitsverlust des anderen, was Artikel 53 der Konvention untersage.

b) Die Beschwerdeführerin

65. Die Beschwerdeführerin behauptet, X sei im Zeitpunkt der Geschehnisse ein bekannter Schauspieler gewesen, der in einer sehr beliebten Fernsehkrimiserie die Hauptrolle spielte; er war insbesondere bei den jungen männlichen Zuschauern beliebt, die ihn darüber hinaus im Jahr 2002 an die zweite Stelle der beliebtesten Schauspieler gewählt hatten. X sei daher keinesfalls eine gewöhnliche Person gewesen, die nicht die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehe, wie es in anderen vom Gerichtshof entschiedenen Rechtssachen der Fall gewesen sei (siehe insbesondere Sciacca ./. Italien, Nr. 50774/99, CEDH 2005‑I; Toma ./. Rumänien, Nr. 42716/02, 24. Februar 2009; und Egeland und Hanseid ./. Norwegen, Nr. 34438/04, 16. April 2009).

66. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist die Begehung einer Straftat ihrer Natur nach nie eine reine Privatangelegenheit. Vorliegend habe X außerdem im Wiederholungsfall gehandelt, da der im Juli 2000 wegen Betäubungsmittelbesitzes zu einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung und zu einer Geldstrafe von 5.000 EUR verurteilt worden war.

67. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege gegenüber dem Recht des X auf Achtung seines Privatlebens. Der Betroffene habe nämlich – aus eigenem Antrieb – die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gesucht, habe aufgrund seines Bekanntheitsgrades einen Marktwert gehabt, habe sich gern bei öffentlichen Ereignissen fotografieren lassen und der Presse Interviews gegeben, in denen er Einblicke in sein Privatleben, einschließlich seinen Betäubungsmittelkonsum, gegeben habe. Da er eine Rolle als Leitbild wahrgenommen habe und aufgrund freier Entscheidung in den Blickpunkt der Öffentlichkeit getreten sei, hätte X hinnehmen müssen, dass er die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zieht, insbesondere dann, wenn er eine Straftat begeht. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass derjenige, der sich zur Selbstinszenierung der Medien bediene, damit rechnen müsse, dass die Medien sein wahres Gesicht zeigen. Dies gelte umso mehr im Fall des X, der nach seiner ersten Verurteilung wegen Betäubungsmittelbesitzes behauptet hatte, keine Drogen mehr zu nehmen. Er habe hierdurch auf sein Recht auf Privatleben verzichtet.

68. Die Beschwerdeführerin betont ferner, dass der Wahrheitsgehalt der in den streitgegenständlichen Berichterstattungen dargelegten Fakten nicht umstritten sei (siehe, im Gegensatz hierzuPedersen und Baadsgaard ./. Dänemark [GK], Nr. 49017/99, CEDH 2004‑XI). Die mitgeteilten Informationen hätten im Übrigen keinen Einfluss auf den Verlauf der Ermittlungen oder die Verhandlung gehabt (siehe, im Gegensatz hierzuTourancheau und July ./. Frankreich, Nr. 53886/00, 24. November 2005); sie hätten nicht nur Details aus dem Privatleben des X enthalten, sondern auch seriöse Fakten über das Strafrecht und die Folgen des Betäubungsmittelkonsums. Der vorliegende Fall unterscheide sich somit von der Rechtssache H. (a.a.O.), zumal die Beschwerdeführer im Unterschied zu X in dieser Sache stets versucht hätten, ihr Privatleben zu schützen.

69. Die Beschwerdeführerin erinnert daran, dass sie nach der Veröffentlichung der Taten und der Identität der festgenommenen Person durch die Strafverfolgungsbehörden über die Festnahme des X berichtet habe. In ihrem Plädoyer in der mündlichen Verhandlung, insbesondere in Beantwortung der Fragen der Richter, hat sie bekräftigt, dass die Staatsanwaltschaft München vor der Veröffentlichung der streitigen Artikel eine Pressekonferenz – vor laufender Fernsehkamera – abgehalten habe, auf der sie detaillierte Informationen mitgeteilt habe. Die Staatsanwaltschaft habe außerdem hierzu eine lange Pressemitteilung veröffentlicht. Folglich habe die Beschwerdeführerin nur Informationen veröffentlicht, die bereits bekannt waren. Es sei demnach entmutigend für Journalisten, solche Informationen nicht veröffentlichen zu dürfen. Es sei also reine Zeitverschwendung, einer Pressekonferenz beizuwohnen.

70. Die Beschwerdeführerin betont abschließend, dass die Presse nicht darauf beschränkt werden darf, lediglich Berichterstattungen über politische Persönlichkeiten zu veröffentlichen. Da der breiten Öffentlichkeit bekannte Personen ihres Erachtens das Recht haben, die Medien zu nutzen, um ein bestimmtes Bild von sich zu malen, müssen die Medien die Möglichkeit haben, dieses Bild zurechtzurücken, wenn es nicht mehr der Wirklichkeit entspricht. Es handele sich nicht darum, den Vorrang der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber dem Recht auf Achtung des Privatlebens zu bekräftigen. Die Meinungsfreiheit müsse jedoch überwiegen, wenn die betroffene Person überregional bekannt ist und sich aus eigenem Antrieb dafür entschieden hat, ihre Bekanntheit zu fördern.

2. Stellungnahme der Drittbeteiligten

a) Media Lawyers Association

71. Die beteiligte Vereinigung behauptet, dass das Recht auf Schutz des guten Rufes nicht durch die Konvention geschützt ist. Die Veröffentlichung eines diffamierenden Artikels über eine Person bedeute nicht an sich einen Eingriff in die Ausübung der durch Artikel 8 der Konvention garantierten Rechte. Das Recht der Medien, über Themen von öffentlichem Interesse zu berichten und insbesondere die Allgemeinheit über Gerichtsverfahren zu informieren, sollte Gegenstand eines umfassenden und zuverlässigen Schutzes bei der Abwägung der Rechte aus den Artikeln 8 und 10 der Konvention sein. Die beteiligte Vereinigung unterstreicht, dass die namentliche Nennung der betroffenen Person oder die Angabe anderer Einzelheiten, die zu ihrer Identifizierung führen können, bei der Wahrnehmung der Aufgabe, die in der Unterrichtung der Öffentlichkeit besteht, von Bedeutung ist.

72. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs des Vereinigten Königreichs wäre eine Berichterstattung über Gerichtsverfahren, die nicht die Namen der Parteien enthalten dürfte, belanglos; die Leser zeigten weniger Interesse und die Herausgeber würden ihr geringere Priorität beimessen. Die Vereinigung legt ferner Nachdruck auf die Bedeutung des der Presse einzuräumenden Spielraums hinsichtlich einer Veröffentlichung und den Grundsatz der Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren, zu dem die Medien wesentlich beitragen und bei dem nur unter besonderen Umständen Ausnahmen gelten dürfen, nämlich wenn eine Partei oder ein Zeuge durch Verschweigen des Namens geschützt werden muss. Sind solche Umstände nicht gegeben, sollte das Recht der Medien, Berichterstattungen über Gerichtsverfahren, gegebenenfalls mit Fotos, zu veröffentlichen, keinen Einschränkungen unterliegen.

b) Gemeinsame Stellungnahme von Media Legal Defence Initiative, International Press Institute und World Association of Newspapers and News publishers

73. Die drei beteiligten Vereinigungen unterstreichen, bei den Gerichten der Konventionsstaaten sei eine Tendenz zur Angleichung der Grundsätze und Normen zu beobachten, die der Gerichtshof in Bezug auf die Abwägung der Rechte aus den Artikeln 8 und 10 der Konvention aufgestellt hat, selbst wenn die Frage des Gewichts, das einem besonderen Umstand zukommen soll, in den einzelnen Staaten unterschiedlich ausgestaltet sei. Sie fordern den Gerichtshof auf, den Staaten einen weiten Ermessensspielraum zu lassen. In dieser Hinsicht betonen sie, dass Artikel 53 der Konvention für einen solchen Spielraum spricht. In seinem Urteil Chassagnou und andere ./. Frankreich([GK], Nrn. 25088/9428331/95 und 28443/95, Rdnr. 113, CEDH 1999‑III) hätte der Gerichtshof im Übrigen den Konventionsstaaten eine beachtlichen Spielraum gerade in den Fällen eingeräumt, in denen widerstreitende Interessen in Rede standen.

74. Die Konventionsstaaten würden in der Regel ebenso über einen breiteren Spielraum verfügen, wenn es um ihre positiven Verpflichtungen im Bereich der Beziehungen zwischen Privatpersonen oder in anderen Bereichen ginge, in denen in einer demokratischen Gesellschaft berechtigterweise tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten herrschen können (Fretté ./. Frankreich, Nr. 36515/97, Rdnr. 41, CEDH 2002‑I). Der Gerichtshof hätte außerdem in einer Sache, in der es um die Abwägung von Rechten aus den Artikeln 8 und 10 der Konvention gegangen sei, einen weiten Spielraum eingeräumt (A. ./. Norwegen, a.a.O., Rdnr. 66) Seine Rolle bestehe konkret darin sicherzustellen, dass die Konventionsstaaten einen Mechanismus schaffen, der es ermöglicht, eine Abwägung vorzunehmen und zu überprüfen, ob die von den innerstaatlichen Gerichten hierbei berücksichtigten Faktoren mit der Konvention und seiner Rechtsprechung in Einklang stehen. Er dürfe nur dann eingreifen, wenn die von den innerstaatlichen Gerichten berücksichtigten Umstände offensichtlich ungeeignet sind, oder wenn die Schlussfolgerungen der innerstaatlichen Gerichte eindeutig willkürlich sind oder die Interessen einer Person missachten, wenn es sich um den Schutz ihrer Privatsphäre oder ihres guten Rufes handelt. Andernfalls liefe er Gefahr, eine Rechtsmittelinstanz für solche Rechtssachen zu werden.

3. Würdigung durch den Gerichtshof

75. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die im vorliegenden Fall ergangenen Gerichtsentscheidungen einen Eingriff in das nach Artikel 10 der Konvention geschützte Recht der Beschwerdeführerin auf Freiheit der Meinungsäußerung dargestellt haben.

76. Ein Eingriff verletzt die Konvention, wenn er nicht die Erfordernisse des Artikels 10 Absatz 2 erfüllt. Daher muss festgestellt werden, ob er „gesetzlich vorgesehen“ war, eines oder mehrere der in diesem Absatz aufgeführten legitimen Ziele verfolgte und ob er „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war, um dieses oder diese Ziele zu erreichen.

77. Es ist unstreitig, dass der Eingriff von den im Licht des Persönlichkeitsschutzes ausgelegten §§ 823 Absatz 1 und 1004 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Rdnrn. 18 und 47 oben) vorgesehen war. Es ist auch nicht umstritten, dass er ein legitimes Ziel verfolgte, d.h. den Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer im Sinne des Artikels 10 Absatz 2 der Konvention, was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Chauvy und andere ./. Frankreich, Nr. 64915/01, Rdnr. 70, CEDH 2004‑VI, und Pfeifer ./. Österreich, Nr. 12556/03, Rdnr. 35, 15. November 2007) auch das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Artikels 8 der Konvention umfassen kann. Die Parteien sind sich hingegen nicht einig hinsichtlich der Frage, ob der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war.

a) Die allgemeinen Grundsätze

i. In Bezug auf die Freiheit der Meinungsäußerung

78. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft, eine der Hauptvoraussetzungen ihrer Entwicklung und der Entfaltung eines jeden Menschen. Vorbehaltlich von Artikel 10 Absatz 2 gilt diese nicht nur für die „Informationen“ oder „Ideen“, die Zustimmung finden oder als harmlos oder unerheblich betrachtet werden, sondern auch für solche, die verletzend, schockierend oder beunruhigend wirken: Dies gebieten nämlich der Pluralismus, die Toleranz und die Aufgeschlossenheit, ohne die es eine „demokratische Gesellschaft“ nicht geben kann. Die in Artikel 10 niedergelegte Freiheit der Meinungsäußerung geht mit Ausnahmen einher, die jedoch eine enge Auslegung erfordern, und die Notwendigkeit, sie einzuschränken, muss in überzeugender Weise nachgewiesen sein (siehe, unter anderen, Handyside ./. Vereinigtes Königreich, 7. Dezember 1976, Rdnr. 49, Serie A Band 24; Editions Plon ./. Frankreich, Nr. 58148/00, Rdnr. 42, CEDH 2004‑IV ; und Lindon, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich [GK], Nrn. 21279/02 und 36448/02, Rdnr. 45, CEDH 2007‑IV).

79. Der Gerichtshof hat im Übrigen vielfach die wesentliche Rolle herausgestellt, die der Presse in einer demokratischen Gesellschaft zukommt. Die Presse darf zwar in Bezug auf den Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer gewisse Grenzen nicht überschreiten, ihre Aufgabe ist es jedoch, unter Beachtung ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten Informationen und Ideen über alle Fragen von allgemeinem Interesse mitzuteilen. Zu ihrer Aufgabe, Informationen und Ideen über solche Fragen zu verbreiten, kommt das Recht der Öffentlichkeit hinzu, sie zu empfangen. Andernfalls könnte die Presse ihre unabdingbare Rolle als „Wachhund“ nicht spielen (Bladet Tromsø und Stensaas ./. Norwegen [GK], Nr. 21980/93, Rdnrn. 59 und 62, CEDH 1999‑III, und Pedersen und Baadsgaard, a.a.O., Rdnr. 71).

80. Diese Aufgabe umfasst die Berichterstattung und Kommentierung von Gerichtsverfahren, die unter der Voraussetzung, dass sie die weiter oben angegebenen Grenzen nicht überschreiten, dazu beitragen, dass sie publik werden und daher mit dem Erfordernis der Öffentlichkeit der Verhandlung nach Artikel 6 Absatz 1 der Konvention vereinbar sind. Man sollte nämlich nicht meinen, dass die Fragen, über die die Gerichte entscheiden, nicht im Vorfeld oder zur gleichen Zeit woanders Anlass zu Diskussionen geben können, sei es in speziellen Zeitschriften, der allgemeinen Presse oder in der breiten Öffentlichkeit. Zur Aufgabe der Medien, solche Informationen und Ideen mitzuteilen, kommt das Recht der Öffentlichkeit hinzu, sie zu empfangen (News Verlags GmbH & Co.KG ./. Österreich, Nr. 31457/96, Rdnr. 56, CEDH 2000‑I ; Dupuis und andere ./. Frankreich, Nr. 1914/02, Rdnr. 35, CEDH 2007‑VII; und Campos Dâmaso ./. Portugal, Nr. 17107/05, Rdnr. 31, 24. April 2008).

81. Zur journalistischen Freiheit zählt auch die Möglichkeit einer gewissen Übertreibung, sogar einer Provokation (Pedersen und Baadsgaard, a.a.O., Rdnr. 71). Es ist ferner nicht Aufgabe des Gerichtshofs oder im Übrigen der innerstaatlichen Gerichte, bei der Wahl der Art der Berichterstattung in einem bestimmten Fall an die Stelle der Presse zu treten (Jersild ./. Dänemark, 23. September 1994, Rdnr. 31, Serie A Band 298, und Eerikäinen und andere ./. Finnland, Nr. 3514/02, Rdnr. 65, 10. Februar 2009).

ii. In Bezug auf die Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung

82. Artikel 10 Absatz 2 der Konvention unterstreicht jedoch, dass die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit mit „Pflichten und Verantwortung“ verbunden ist, die auch für die Medien gelten, selbst wenn es sich um Fragen von großem Allgemeininteresse handelt. Diese Pflichten und Verantwortung können von großer Bedeutung sein, wenn die Gefahr besteht, den guten Ruf einer namentlich genannten Person zu schädigen und die „Rechte anderer“ zu verletzen. So müssen besondere Gründe vorliegen, um die Medien von der ihnen gewöhnlich obliegenden Verpflichtung entbinden zu können, diffamierende Erklärungen über Fakten hinsichtlich von Einzelpersonen zu überprüfen. In diesem Zusammenhang kommen Art und Umfang der fraglichen Diffamierung sowie die Frage ins Spiel, inwieweit die Medien ihre Quellen in Bezug auf die Behauptungen zu Recht als glaubwürdig ansehen können (Pedersen und Baadsgaard, a.a.O., Rdnr. 78, und Tønsbergs Blad A.S. und Haukom ./. Norwegen, Nr. 510/04, Rdnr. 89, CEDH 2007‑III).

83. Der Gerichtshof ruft in Erinnerung, dass das Recht auf Schutz des guten Rufes ein Recht ist, das als Bestandteil des Privatlebens in den Geltungsbereich des Artikels 8 der Konvention fällt (Chauvy und andere, a.a.O., Rdnr. 70; Pfeifer, a.a.O., Rdnr. 35; und Polanco Torres und Movilla Polanco ./. Spanien, Nr. 34147/06, Rdnr. 40, 21. September 2010). Der Begriff „Privatleben“ ist ein weit gefasster Begriff, der nicht abschließend definiert werden kann, der die körperliche und moralische Unversehrtheit der Person einschließt und daher zahlreiche Aspekte der Identität eines Einzelnen umfassen kann, wie die geschlechtliche Identifikation und die sexuelle Ausrichtung, den Namen oder Aspekte, die sich auf das Recht am eigenen Bildnis beziehen (S. und Marper ./. Vereinigtes Königreich [GK], Nrn. 30562/04 und 30566/04, Rdnr. 66, CEDH 2008-…). Er umfasst persönliche Informationen, von denen eine Person berechtigterweise erwarten kann, dass sie nicht ohne ihr Einverständnis veröffentlicht werden (Flinkkilä und andere, a.a.O., Rdnr. 75, und Saaristo und andere ./. Finnland, Nr. 184/06, Rdnr. 61, 12. Oktober 2010).

Damit Artikel 8 zum Tragen kommt, muss jedoch der Angriff auf den guten Ruf einer Person eine gewisses Maß an Schwere erreichen und in einer Weise erfolgt sein, dass der persönliche Genuss des Rechts auf Achtung des Privatlebens Schaden erlitten hat (A. ./. Norwegen, a.a.O., Rdnr. 64). Der Gerichtshof ist der Meinung, dass Artikel 8 nicht geltend gemacht werden kann, um sich wegen einer Schädigung des guten Rufs zu beschweren, die vorhersehbar auf eigenes Handeln, beispielsweise eine Straftat, zurückzuführen sei (Sidabras und Džiautas ./. Litauen, Nrn. 55480/00 und 59330/00, Rdnr. 49, CEDH 2004‑VIII).

84. Bei der Bewertung der Notwendigkeit des Eingriffs in einer demokratischen Gesellschaft im Hinblick auf den „Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer“ kann sich der Gerichtshof veranlasst sehen zu überprüfen, ob die nationalen Behörden einen gerechten Ausgleich beim Schutz von zwei durch die Konvention garantierten Werten herbeigeführt haben, die in bestimmten Fällen kollidieren können: nämlich einerseits die Freiheit der Meinungsäußerung nach Artikel 10 und andererseits das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß den Bestimmungen des Artikels 8 (Hachette Filipacchi Associés ./. Frankreich, Nr. 71111/01, Rdnr. 43, 14. Juni 2007, und MGN Limited ./. Vereingtes Königreich, Nr. 39401/04, Rdnr. 142, 18. Januar 2011).

iii.In Bezug auf den Ermessenspielraum

85. Der Gerichtshof ruft in Erinnerung, dass gemäß Artikel 10 der Konvention den Konventionsstaaten ein gewisser Ermessensspielraum zusteht, um über die Notwendigkeit und das Ausmaß eines Eingriffs in die nach dieser Bestimmung geschützte Freiheit der Meinungsäußerung zu entscheiden (Tammer ./. Estland, Nr. 41205/98, Rdnr. 60, CEDH 2001‑I, und Pedersen und Baadsgaard, a.a.O., Rdnr. 68).

86. Dieser Spielraum geht allerdings mit einer europäischen Kontrolle einher, die sowohl die Rechtsvorschriften als auch die Entscheidungen über deren Anwendung umfasst, selbst wenn diese von einem unabhängigen Gericht erlassen werden (Karhuvaara und Iltalehti ./. Finnland, Nr. 53678/00, Rdnr. 38, CEDH 2004‑X, und Flinkkilä und andere, a.a.O., Rdnr. 70). Bei der Ausübung seiner Kontrollbefugnis ist es nicht Aufgabe des Gerichtshofs, an die Stelle der innerstaatlichen Gerichte zu treten, sondern es obliegt ihm, im Licht aller Umstände des Falles zu prüfen, ob die von den Gerichten aufgrund ihrer Ermessensbefugnis erlassenen Entscheidungen mit den geltend gemachten Konventionsbestimmungen in Einklang stehen (Petrenco ./. Moldau, Nr. 20928/05, Rdnr. 54, 30. März 2010; Polanco Torres und Movilla Polanco, a.a.O., Rdnr. 41; und Petrov ./. Bulgarien (Entsch.), Nr. 27103/04, 2. November 2010).

87. In Fällen wie diesem vertritt der Gerichtshof die Auffassung, dass der Ausgang des Beschwerdeverfahrens grundsätzlich kein anderer sein sollte, ob die Beschwerde nun nach Artikel 10 der Konvention vom Verleger, der die streitgegenständliche Berichterstattung veröffentlicht hat oder nach Artikel 8 der Konvention von der Person erhoben wird, die Gegenstand dieses Wortberichts ist. Diese Rechte verdienen in der Tat a priori dieselbe Beachtung (Hachette Filipacchi Associés (ICI PARIS./. Frankreich, Nr. 12268/03, Rdnr. 41, 23. Juli 2009; Timciuc ./. Rumänien (Entsch.), Nr. 28999/03, Rdnr. 144, 12. Oktober 2010; und Mosley ./. Vereinigtes Königreich, Nr. 48009/08, Rdnr. 111, 10. Mai 2011; siehe auch Ziffer 11 der Entschließung der Parlamentarischen Versammlung – Randnummer 51 oben). Infolgedessen sollte der Ermessensspielraum in beiden Fällen grundsätzlich identisch sein.

88. Haben die innerstaatlichen Instanzen die Abwägung dieser beiden Rechte in Übereinstimmung mit den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs niedergelegten Kriterien vorgenommen, bedarf es für den Gerichtshof gewichtiger Gründe, um die Ansicht der innerstaatlichen Gerichte durch die eigene zu ersetzen (MGN Limited, a.a.O., Rdnrn. 150 und 155, und Palomo Sánchez und andere ./. Spanien [GK], Nrn. 28955/0628957/0628959/06 und 28964/06, Rdnr. 57, 12. September 2011)

iv. Die für die Abwägung relevanten Kriterien

89. Die sich aus der Rechtsprechung für die Abwägung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Rechts auf Achtung des Privatlebens ergebenden Kriterien, die sich im vorliegenden Fall als relevant herausstellen, werden nachstehend aufgeführt.

α) Der Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse

90. Ein erster wesentlicher Aspekt ist der Beitrag, den das Erscheinen von Fotos oder Artikeln in der Presse zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leistet (H.a.a.O., Rdnr. 60; Leempoel & S.A. ED. Ciné Revue ./. Belgien, Nr. 64772/01, Rdnr. 68, 9. November 2006; und Standard Verlags GmbH ./. Österreich (Nr. 2), Nr. 21277/05, Rdnr. 46, 4. Juni 2009). Die Definition dessen, was Gegenstand des Allgemeininteresses ist, hängt von den Umständen des Falles ab. Der Gerichtshof hält es dennoch für sinnvoll, daran zu erinnern, dass er das Vorhandensein eines solchen Interesses nicht nur dann anerkannt hat, als die Veröffentlichung politische Fragen oder begangene Verbrechen betraf (White ./. Schweden, Nr. 42435/02, Rdnr. 29, 19. September 2006; Egeland und Hanseid, a.a.O., Rdnr. 58; Leempoel & S.A. ED. Ciné Revue, a.a.O., Rdnr. 72), sondern auch, als sie Fragen in Bezug auf Sport oder Bühnenschauspieler betraf (Nikowitz und Verlagsgruppe News GmbH ./. Österreich, Nr. 5266/03, Rdnr. 25, 22. Februar 2007; Colaço Mestre und SIC – Sociedade Independente de Comunicação, S.A. ./. Portugal, Nrn. 11182/03 und 11319/03, Rdnr. 28, 26. April 2007; und Sapan ./. Türkei, Nr. 44102/04, Rdnr. 34, 8. Juni 2010). Etwaige Eheprobleme eines Staatspräsidenten oder finanzielle Schwierigkeiten eines berühmten Sängers wurden hingegen nicht so angesehen, als fielen sie in den Bereich einer Debatte von allgemeinem Interesse (Standard Verlags GmbH, a.a.O., Rdnr. 52, und Hachette Filipacchi Associés (ICI PARIS), a.a.O., Rdnr. 43).

β) Die Bekanntheit der betroffenen Person und der Gegenstand der Berichterstattung

91. Die Rolle oder Funktion der betroffenen Person und die Art der Tätigkeit, über die berichtet wird und/oder die abgelichtet wird, stellen ein weiteres wichtiges Kriterium dar, das in Zusammenhang mit dem zuvor geschilderten steht. An dieser Stelle ist zwischen Privatpersonen und Personen, die in einem öffentlichen Kontext als Politiker oder Personen des öffentlichen Interesses handeln, zu unterscheiden. Während eine der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson einen besonderen Schutz ihres Rechts auf Privatleben verlangen kann, gilt dies nicht für Personen des öffentlichen Lebens (Minelli ./. Schweiz (Entsch.), Nr. 14991/02, 14. Juni 2005, und Petrenco, a.a.O., Rdnr. 55). Eine Berichterstattung über einen Sachverhalt, der in einer demokratischen Gesellschaft zu einer Debatte über Politiker beispielsweise wegen der Ausübung ihrer offiziellen Funktionen beitragen kann, darf nämlich nicht mit der Berichterstattung über Einzelheiten aus dem Privatleben einer Person, die solche Funktionen nicht wahrnimmt, (H., a.a.O., Rdnr. 63, und Standard Verlags GmbH, a.a.O., Rdnr. 47), gleichgesetzt werden.

Im ersten Fall entspricht die Rolle der Presse zwar ihrer Funktion als „Wachhund“, der in einer Demokratie Ideen und Informationen über Fragen von allgemeinem Interesse mitzuteilen hat, doch scheint diese Rolle in dem zweiten Fall weniger wichtig zu sein. Selbst wenn unter bestimmten Umständen das Informationsrecht der Öffentlichkeit sich sogar auf Aspekte des Privatlebens von Personen des öffentlichen Lebens erstrecken kann, insbesondere im Fall von Politikern, so trifft dies nicht zu, selbst wenn die betroffenen Personen einen gewissen Bekanntheitsgrad genießen, wenn die veröffentlichten Fotos und die Kommentare dazu sich ausschließlich auf Einzelheiten aus ihrem Privatleben beziehen und nur dazu dienen, die Neugier eines bestimmten Publikums hierüber zu befriedigen (H., a.a.O., Rdnr. 65 mit den dort zitierten Nachweisen, und Standard Verlags GmbH, a.a.O., Rdnr. 53; siehe auch Ziffer 8 der Entschließung der Parlamentarischen Versammlung – Rdnr. 51 oben). In diesem letzten Fall gebietet die Freiheit der Meinungsäußerung eine engere Auslegung (H., a.a.O., Rdnr. 66; Hachette Filipacchi Associés (ICI PARIS), a.a.O., Rdnr. 40; und MGN Limited, a.a.O., Rdnr. 143).

γ) Das frühere Verhalten der betroffenen Person

92. Das Verhalten der betroffenen Person vor der Veröffentlichung der Berichterstattung oder die Tatsache, dass das streitgegenständliche Foto und die diesbezüglichen Informationen bereits vorher veröffentlicht wurden, zählen auch zu den zu berücksichtigenden Aspekten (Hachette Filipacchi Associés (ICI PARIS), a.a.O., Rdnrn. 52 und 53, und Sapan, a.a.O., Rdnr. 34). Allein die Tatsache, zuvor mit der Presse zusammengearbeitet zu haben, ist jedoch nicht geeignet, dem Betroffenen jeglichen Schutz gegen die Veröffentlichung der fraglichen Berichterstattung oder des fraglichen Fotos zu entziehen (Egeland und Hanseid, a.a.O., Rdnr. 62).

δ) Die Art der Erlangung von Informationen und ihr Wahrheitsgehalt

93. Die Art und Weise der Erlangung von Informationen und ihr Wahrheitsgehalt spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass die Garantie, die Artikel 10 den Journalisten in Bezug auf die Berichterstattung über Fragen von allgemeinem Interesse bietet, davon abhängt, ob die Betroffenen auf der Grundlage von genauen Fakten gutgläubig handeln und unter Beachtung des journalistischen Berufsethos „zuverlässige und genaue“ Informationen liefern (siehe zum Beispiel, Fressoz und Roire ./. Frankreich [GK], Nr. 29183/95, Rdnr. 54, CEDH 1999-I; Pedersen und Baadsgaard, a.a.O., Rdnr. 78; und Stoll ./. Schweiz [GK], Nr. 69698/01, Rdnr. 103, CEDH 2007-V).

ε) Der Inhalt, die Form und die Auswirkungen der Veröffentlichung

94. Ebenfalls eine Rolle spielen können die Art und Weise, in der eine Berichterstattung oder ein Foto veröffentlicht wird, und die Art, in der dort die betroffene Person dargestellt wird (Wirtschafts-Trend Zeitschriften-Verlagsgesellschaft m.b.H. ./. Österreich (Nr. 3), Nrn. 66298/01 und 15653/02, Rdnr. 47, 13. Dezember 2005; Reklos und Davourlis ./. Griechenland, Nr. 1234/05, Rdnr. 42, 15. Januar 2009; und Jokitaipale und andere ./. Finnland, Nr. 43349/05, Rdnr. 68, 6. April 2010). Ferner kann das Ausmaß der Verbreitung der Berichterstattung und des Fotos auch von Bedeutung sein, je nachdem, ob es sich um eine überregionale oder regionale, auflagenstarke oder auflagenschwache Zeitung handelt (Karhuvaara und Iltalehti, a.a.O., Rdnr. 47, und Gourguénidzé ./. Georgien, Nr. 71678/01, Rdnr. 55, 17. Oktober 2006).

ζ) Die Schwere der verhängten Sanktion

95. Schließlich sind bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit die Art und Schwere der verhängten Sanktionen zu berücksichtigen (Pedersen und Baadsgaard, a.a.O., Rdnr. 93, und Jokitaipale und andere, a.a.O., Rdnr. 77).

b) Anwendung auf den vorliegenden Fall

i. Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse

96. Der Gerichtshof stellt fest, dass die streitgegenständlichen Artikel sich auf die Festnahme und die Verurteilung des Schauspielers X beziehen, d.h. auf öffentliche gerichtliche Fakten, die als von einem gewissen allgemeinen Interesse angesehen werden können. Die Öffentlichkeit hat nämlich grundsätzlich ein Interesse daran, über Strafverfahren informiert zu werden und sich diesbezüglich informieren zu können, unter strikter Beachtung der Unschuldsvermutung (News Verlags GmbH & Co.KG, a.a.O., Rdnr. 56; Dupuis und andere, a.a.O., Rdnr. 37; und Campos Dâmaso, a.a.O., Rdnr. 32; siehe auch die Empfehlung Rec(2003)13 des Ministerkomitees und insbesondere die Grundsätze 1 und 2 im Anhang dieser Empfehlung – Rdnr. 50 oben). Das Ausmaß dieses Interesses kann jedoch variieren, da es sich im Lauf des Verfahrens – seit der Festnahme – aufgrund verschiedener Faktoren entwickeln kann, beispielsweise entsprechend dem Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, den Umständen des Falls und jeder im Verlauf des Verfahrens auftretenden neuen Entwicklung.

ii. Bekanntheitsgrad der betroffenen Person und Gegenstand der Berichterstattung

97. Der Gerichtshof weist auf die deutlich abweichenden Schlussfolgerungen hin, zu denen die innerstaatlichen Gerichte bei der Beurteilung des Bekanntheitsgrades des X gelangt sind. Dem Landgericht zufolge war X nämlich keine Person im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und hat sich diesem auch nicht genähert, so dass er sich trotz seiner Bekanntheit als Schauspieler und seiner häufigen Auftritte im Fernsehen seines Rechts auf Schutz seiner Persönlichkeit begeben hätte (Rdnr. 23 oben). Dem Oberlandesgericht zufolge war X hingegen einer breiten Öffentlichkeit bekannt, genoss eine hohe Popularität und hatte eine gewisse Zeit lang einen Polizeikommissar verkörpert, ohne selbst Vorbildcharakter als Ordnungshüter erlangt zu haben, was ein Interesse der Öffentlichkeit hätte begründen können zu erfahren, ob er einer solchen Person in seinem Privatleben gerecht wird (Rdnrn. 33 und 34 oben).

98. Der Gerichtshof vertritt die Auffassung, dass die Beurteilung des Bekanntheitsgrades einer Person grundsätzlich in erster Linie den innerstaatlichen Gerichten obliegt, vor allem wenn es sich um eine hauptsächlich im Inland bekannte Persönlichkeit handelt. Er betont im vorliegenden Fall, dass X zur fraglichen Zeit Hauptdarsteller in einer sehr populären Fernsehkrimiserie gewesen ist, in der er die Hauptfigur, den Kommissar Y, verkörperte. Die Popularität des Schauspielers beruhte im Wesentlichen auf dieser Serie, von der im Zeitpunkt des Erscheinens des ersten Artikels 103 Episoden ausgestrahlt worden waren, davon die letzten 54 mit X in der Rolle des Kommissars Y. Aus diesem Grund handelte es sich nicht, wie das Landgericht offensichtlich annahm, um einen zweitrangigen Schauspieler, dessen Bekanntheit trotz einer hohen Anzahl an Filmauftritten (mehr als 200 – Rdnr. 22 oben) begrenzt geblieben sei. Hierzu ist ebenfalls anzumerken, dass das Oberlandesgericht nicht nur auf die Existenz von Fanclubs des X, sondern auch auf die Tatsache Bezug genommen hat, dass seine Fans dazu veranlasst hätten werden können, ihn nachzuahmen und Drogen zu konsumieren, wenn die Straftat nicht geschützt vor den Augen der Öffentlichkeit begangen worden wäre (Rdnr. 32 oben).

99. Ferner kann zwar angenommen werden, dass die Öffentlichkeit im Allgemeinen zwischen einem Schauspieler und der Person, die er verkörpert, unterscheidet, doch kann eine enge Verbindung zwischen der Popularität des fraglichen Schauspielers und seiner Figur bestehen, wenn wie im vorliegenden Fall der Betroffene hauptsächlich wegen dieser besonderen Rolle bekannt ist. X spielte darüber hinaus die Rolle eines Polizeikommissars, dessen Aufgabe es war, für die Beachtung der Gesetze Sorge zu tragen und Verbrechen zu bekämpfen. Dieser Umstand steigerte das Interesse der Öffentlichkeit, über die Festnahme des X wegen einer Straftat informiert zu werden. Angesichts dieser Aspekte und der von den innerstaatlichen Gerichten verwandten Formulierungen, um den Bekanntheitsgrad des X zu bewerten, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass dieser ausreichend hoch war, um den Betroffenen als Person des öffentlichen Lebens zu qualifizieren. Diese Erwägung verstärkt daher das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Festnahme des X und dem ihn betreffenden Strafverfahren.

100. Was den Gegenstand der Berichterstattungen anbelangt, so waren die innerstaatlichen Gerichte der Meinung, dass die von X begangene Straftat keine Kleinkriminalität sei, da Kokain eine harte Droge sei. Die Schwere der Straftat war jedoch durchschnittlich, sogar gering, wegen einerseits der geringen Menge des Betäubungsmittels, das X in seinem Besitz hatte und das überdies für den persönlichen Gebrauch bestimmt war, und andererseits der großen Anzahl an Straftaten dieser Art und der damit zusammenhängenden Strafverfahren. Die innerstaatlichen Gerichte haben der Tatsache, dass X bereits wegen einer ähnlichen Straftat verurteilt worden war, keine große Bedeutung beigemessen und unterstrichen, dass es sich um seine einzige Vorstrafe handele, die außerdem einige Jahre zurückliege. Sie haben daraus geschlossen, dass das Interesse der Beschwerdeführerin an der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Artikel allein dadurch bedingt war, dass X eine Straftat begangen hatte, die, wenn sie von einem Unbekannten begangen worden wäre, wahrscheinlich nie Gegenstand einer Berichterstattung gewesen wäre (Rdnr. 20 oben).

Der Gerichtshof kann im Wesentlichen dieser Einschätzung beipflichten. Er erinnert jedoch daran, dass die Festnahme von X an einem öffentlichen Ort in einem Zelt auf dem Münchner Oktoberfest erfolgt ist. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts weckte diese Tatsache im vorliegenden Fall ein großes öffentliches Interesse, auch wenn sich dieses Interesse nicht auf die Beschreibung und die Qualifizierung der zur Last gelegten Straftat bezog, da diese für die Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar begangen worden war.

iii. Das Verhalten des X vor der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Artikel

101. Hinzu kommt hier das frühere Verhalten des X gegenüber den Medien, da der Betroffene in einer Reihe von Interviews selbst Einzelheiten aus seinem Privatleben preisgegeben hatte (Rdnr. 25 oben). Dem Gerichtshof zufolge hat er sich in gewisser Weise selbst ins Rampenlicht begeben, so dass angesichts seiner Bekanntheit seine „berechtigte Erwartung“, dass sein Privatleben tatsächlich geschützt wird, nur sehr begrenzt war (siehe entsprechend, Hachette Filipacchi Associés (ICI PARIS), a.a.O., Rdnr. 53, und, im Gegensatz hierzu, Eerikäinen und andere, a.a.O., Rdnr. 66).

iv. Die Art der Erlangung der Informationen und deren Wahrheitsgehalt

102. Hinsichtlich der Art der Erlangung der veröffentlichten Informationen trägt die Beschwerdeführerin vor, erst nach der Verbreitung des Sachverhalts und der Identität des Beschuldigten durch die Verfolgungsbehörden über die Festnahme von X berichtet zu haben. Sie behauptet auch, alle von ihr veröffentlichten Informationen seien insbesondere anlässlich einer Pressekonferenz und in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft bereits publik gemacht worden (Rdnr. 69 oben). Die Regierung bestreitet, dass die Staatsanwaltschaft eine solche Pressekonferenz abgehalten habe, und betont, dass Staatsanwalt W. erst nach dem Erscheinen des ersten Artikels der Beschwerdeführerin gegenüber den Medien den von ihr berichteten Sachverhalt bestätigt hat.

103. Der Gerichtshof merkt an, dass die ihm vorgelegten Unterlagen die Behauptungen der Beschwerdeführerin bezüglich des Abhaltens einer Pressekonferenz und der Verbreitung einer Pressemitteilung vor der Veröffentlichung des ersten Artikels untermauern können. Doch haben sich die fraglichen Behauptungen infolge einer Frage des Gerichtshofs während der Verhandlung als unbegründet herausgestellt. Der Gerichtshof erachtet die Haltung der Beschwerdeführerin in diesem Fall für bedauerlich.

104. Aus den im vorliegenden Fall ergangenen Gerichtsentscheidungen und den Stellungnahmen der Parteien des innerstaatlichen Verfahrens geht jedoch hervor, dass dieser Punkt nicht vor den nationalen Gerichten erörtert worden ist. Für die Prüfung dieser Beschwerde beschränkt sich der Gerichtshof darauf anzumerken, dass die Beschwerdeführerin all ihren Erwiderungen in den verschiedenen innerstaatlichen Verfahren die Erklärung einer ihrer Journalisten beigefügt hat, in der erläutert wird, wie die am […] 2004 veröffentlichten Informationen erlangt worden seien (Rdnrn. 11 und 12 oben); die Regierung hat den Wahrheitsgehalt dieser Erklärung nie bestritten. Zwar ist die Beschwerdeführerin daher nicht berechtigt zu behaupten, dass sie nur Informationen veröffentlicht hat, die auf einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft München bekannt gegeben wurden, doch steht fest, dass die Bestätigung der veröffentlichten Informationen, und insbesondere der Identität von X, durch die Polizei und Staatsanwalt W. erfolgte, der zur Zeit des Vorfalls zudem Pressesprecher der Staatsanwaltschaft München war.

105. Da sich der erste Artikel folglich auf Informationen stützte, die der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft München mitgeteilt hatte, hatte er eine hinlängliche sachliche Grundlage (Bladet Tromsø und Stensaas, a.a.O., Rdnr. 72; Eerikäinen und andere, a.a.O., Rdnr. 64; und Pipi ./. Türkei (Entsch.), Nr. 4020/03, 15. Mai 2009). Der Wahrheitsgehalt des in den beiden Berichterstattungen geschilderten Sachverhalts ist im Übrigen von den Parteien im innerstaatlichen Verfahren nicht bestritten worden, und wird von den Parteien auch nicht in dem Verfahren vor dem Gerichtshof bestritten (Karhuvaara und Iltalehti, a.a.O., Rdnr. 44).

106. Für die mit dem Fall befassten innerstaatlichen Gerichte hatte die Tatsache, dass diese Informationen von der Staatsanwaltschaft München stammten, jedoch nur zur Folge, dass die Beschwerdeführerin auf ihren Wahrheitsgehalt vertrauen konnte, entband sie aber nicht davon, ihr Interesse an ihrer Veröffentlichung und das von X an der Achtung seines Privatlebens gegeneinander abzuwägen. Diese Abwägung konnte den Gerichten zufolge nur durch die Presse vorgenommen werden, da eine Behörde nicht wissen könne, in welcher Art und Weise und in welcher Form diese Information verbreitet würde (Rdrn. 27-30 oben).

107. Nach Auffassung des Gerichtshofs gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine solche Abwägung nicht stattgefunden hat. Fest steht jedoch, dass angesichts der Art der von X begangenen Straftat, seines Bekanntheitsgrades, der Umstände seiner Festnahme und des Wahrheitsgehalts der fraglichen Informationen die Beschwerdeführerin, nachdem sie die Bestätigung dieser Informationen durch die Verfolgungsbehörden selbst erhalten hatte, keine hinlänglich gewichtigen Gründe hatte anzunehmen, dass sie die Anonymität von X wahren müsse. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, dass Staatsanwalt W. alle von der Beschwerdeführerin am Tag des Erscheinens des ersten Artikels in anderen Zeitschriften und Fernsehsendern preisgegebenen Informationen bestätigt hat. Ebenso war der Sachverhalt, der zur Verurteilung des X geführt hat, bei Erscheinen des zweiten Artikel der Öffentlichkeit bereits bekannt (siehe entsprechend, Aleksey Ovchinnikov ./. Russland, Nr. 24061/04, Rdnr. 49, 16. Dezember 2010). Das Oberlandesgericht hat im Übrigen selbst die Auffassung vertreten, der Beschwerdeführerin könne nur eine leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, da die von der Staatsanwaltschaft mitgeteilten Informationen sie zu der Annahme hätten veranlassen können, dass die streitgegenständliche Berichterstattung rechtmäßig war (Rdnr. 35 oben). Nach Ansicht des Gerichtshofs ist daher nicht aufgezeigt worden, dass die Beschwerdeführerin bösgläubig gehandelt hat, als sie die streitigen Artikel veröffentlichte.

v. Der Inhalt, die Form und die Auswirkungen der streitgegenständlichen Artikel

108. Der Gerichtshof merkt an, dass sich der erste Artikel darauf beschränkte, über die Festnahme des X, die von W erhaltenen Informationen und die rechtliche Beurteilung der Schwere der Straftat durch einen Rechtsexperten zu berichten (Rdnr. 13 oben). Im zweiten Artikel wurde wiederum nur über die vom Gericht am Ende einer mündlichen Verhandlung und nach den Geständnissen des X ausgesprochenen Strafe berichtet (Rdnr. 15 oben). In den Artikeln wurden keine Einzelheiten aus dem Privatleben von X preisgegeben, sondern im Wesentlichen die Umstände und Folgen der Festnahme geschildert (Flinkkilä und andere, a.a.O., Rdnr. 84, und Jokitaipale und andere, a.a.O., Rdnr. 72). Sie enthielten keine beleidigenden Äußerungen oder grundlose Behauptungen (siehe die in Randnummer 82 zitierte Rechtsprechung). Dass in dem ersten Artikel einige Formulierungen verwendet wurden, die wahrscheinlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wecken sollten, dürfte angesichts der Rechtsprechung des Gerichtshofs kein Problem darstellen (Flinkkilä und andere, a.a.O., Rdnr. 74, und Pipi, vorgenannte Entscheidung).

Der Gerichtshof stellt im Übrigen fest, dass das Landgericht die Veröffentlichung der entsprechenden Fotos zu den streitgegenständlichen Artikeln verboten und die Beschwerdeführerin dieses Verbot nicht angefochten hat. Er ist daher der Auffassung, dass die Form der streitigen Artikel keinen Aspekt darstellte, der zugunsten eines Verbots ihrer Veröffentlichung sprach. Die Regierung hat im Übrigen nicht dargelegt, dass die Veröffentlichung der Artikel tatsächlich Auswirkungen für X hatte.

vi. Die Schwere der gegen die Beschwerdeführerin verhängten Sanktion

109. In Bezug auf die Schwere der gegen die Beschwerdeführerin verhängten Sanktionen vertritt der Gerichtshof die Auffassung, dass sie zwar leicht waren, gleichwohl auf die Beschwerdeführerin abschreckend wirken konnten. Jedenfalls sind sie angesichts des zuvor Dargelegten nicht gerechtfertigt.

c) Schlussfolgerung

110. Abschließend ist festzuhalten, dass die vom beschwerdegegnerischen Staat vorgetragenen Gründe zwar stichhaltig sind, aber nicht ausreichen, um zu belegen, dass der in Rede stehende Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Trotz des den Konventionsstaaten hierbei zur Verfügung stehenden Ermessensspielsraums ist der Gerichtshof der Meinung, dass die von den innerstaatlichen Gerichten auferlegten Einschränkungen des Rechts der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Meinungsäußerungsfreiheit einerseits in keinem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel andererseits stehen.

111. Es liegt folglich eine Verletzung des Artikels 10 der Konvention vor.

III. DIE ANWENDUNG DES ARTIKELS 41 DER KONVENTION

112. Artikel 41 der Konvention lautet wie folgt:

„Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist.“

A. Schaden

113. Die beschwerdeführende Gesellschaft verlangt 27.734,28 EUR für den materiellen Schaden, d.h. den Betrag, der der Vertragsstrafe und den Ordnungsgeldern, die sie an X zahlen musste (11 000 EUR – siehe Randnummern 31 und 46 oben), den Verfahrenskosten des X (1 261,84 EUR – Randnummern 18 und 40 oben) und den Anwaltskosten des X (15 472,44 EUR), die sie erstatten musste, entspricht. Im Hinblick auf den letzten Punkt verweist sie auf das Urteil Verlagsgruppe News GmbH ./. Österreich (Nr. 2) (Nr. 10520/02, Rdnr. 46, 14. Dezember 2006).

114. Die Regierung hat sich hierzu nicht geäußert.

115. Der Gerichtshof sieht einen hinreichenden Kausalzusammenhang zwischen der festgestellten Verletzung und den geforderten Beträgen, mit Ausnahme der beiden Ordnungsgelder in Höhe von 5.000 EUR. Infolgedessen billigt er hierfür 17.734 EUR zu.

B. Kosten und Auslagen

116. Die Beschwerdeführerin verlangt 32.522,80 EUR wegen der Kosten und Auslagen. Dieser Betrag umfasst ihre Gerichtskosten (6 610 EUR) und ihre Anwaltskosten für die Verfahren vor den Zivilgerichten (13 972,50 EUR), dem Bundesverfassungsgericht (5 000 EUR) und dem Gerichtshof (5 000 EUR), sowie die Übersetzungskosten für das Verfahren vor dem Gerichtshof (1 941,30 EUR). Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass sie nur die den gesetzlich festgesetzten Tabellen entsprechenden Beträge fordert, obgleich sie mit ihren Anwälten ein höheres Honorar vereinbart hatte. Die Entscheidung über die für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht und der Beschwerde vor dem Gerichtshof geforderten Beträge überlässt die Beschwerdeführerin dem Gerichtshof, teilt jedoch mit, dass sie für jedes Verfahren mindestens 5.000 EUR verlangt.

117. Die Regierung stellt fest, dass die Beschwerdeführerin ihre Forderungen hinsichtlich der Anwaltskosten auf die Beträge beschränkt, die von den in Deutschland geltenden Tabellen vorgesehen sind, was nicht zu beanstanden ist. Sie bestreitet jedoch mangels Substantiierung die für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Gerichtshof geforderten Beträge. Sie führt aus, dass sie in der Regel den Streitwert auf 4.000 EUR festsetzt, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annimmt. Die entsprechenden Anwaltskosten würden sich in diesem Fall einschließlich aller Steuern auf 500 EUR belaufen.

118. Der Gerichtshof hält die geforderten Beträge für angemessen und billigt sie infolgedessen zu.

C. Verzugszinsen

119. Der Gerichtshof hält es für angemessen, für die Berechnung der Verzugszinsen den Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank zuzüglich 3 Prozentpunkte zugrunde zu legen.

 

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF

1. Er trennt einstimmig die Beschwerden H. ./. Deutschland (Nrn. 40660/08 und 60641/08) von dieser Beschwerde ab.

2. Er erklärt diese Beschwerde einstimmig für zulässig.

3. Er erklärt mit zwölf zu fünf Stimmen, dass Artikel 10 der Konvention verletzt worden ist.

4. Er erklärt mit zwölf zu fünf Stimmen,

a) dass der beschwerdegegnerische Staat der Beschwerdeführerin innerhalb von drei Monaten die folgenden Beträge zu zahlen hat:

i. 17 734,28 EUR (siebzehntausendsiebenhundertvierunddreißig Euro und achtundzwanzig Cent) für den materiellen Schaden, zuzüglich der Beträge, die als Steuer möglicherweise angefallen sind;

ii. 32.522,80 EUR (zweiunddreißigtausendfünfhundertzweiundzwanzig Euro und achtzig Cent) für Kosten und Auslagen, zuzüglich der Beträge, die als Steuer möglicherweise bei der Beschwerdeführerin angefallen sind;

b) dass dieser Betrag nach Ablauf der genannten Frist bis zur Zahlung einfach zu verzinsen ist, und zwar zu einem Satz, der demjenigen der Spitzenrefinanzierungsfazilität der Europäischen Zentralbank entspricht, der in dieser Zeit Gültigkeit hat, zuzüglich drei Prozentpunkten.

5. Er weist den Antrag auf gerechte Entschädigung im Übrigen zurück.

Ausgefertigt in französischer und englischer Sprache und anschließend am 7. Februar 2012 in öffentlicher mündlicher Verhandlung verkündet im Menschenrechtspalast in Straßburg.

Michael O’BoyleNicolas Bratza 
              Stellvertretender KanzlerPräsident

Diesem Urteil ist gemäß Artikel 45 Absatz 2 der Konvention und Artikel 74 Absatz 2 der Verfahrensordnung die abweichende Meinung des Richters López Guerra beigefügt, der sich die Richter Jungwiert, Jaeger, Villiger und Poalelungi anschließen.

N.B.

M.O’B.

ABWEICHENDE MEINUNG DES RICHTERS LÓPEZ GUERRA,
DER SICH DIE RICHTER JUNGWIERT, JAEGER, VILLIGER UND POALELUNGI ANSCHLIESSEN

(Übersetzung)

Ich pflichte der Feststellung einer Verletzung des Artikels 10 der Konvention durch die Große Kammer nicht bei. Meines Erachtens besteht für die Kammer keine Veranlassung, im vorliegenden Fall zu schlussfolgern, dass die innerstaatlichen Gerichte das Recht der beschwerdeführenden Gesellschaft auf freie Meinungsäußerung nicht gebührend geschützt haben.

Ich billige zwar die Art, in der die Große Kammer über den in Rede stehenden Sachverhalt entschieden hat. Sie hat zu Recht dargelegt, dass wegen der gerichtlichen Sanktionen, die gegen die beschwerdeführende Gesellschaft verhängt wurden, weil sie in der Presse zwei Artikel über die Festnahme und die Verurteilung eines Dritten veröffentlicht hat, ein Eingriff in die Ausübung des Rechts der beschwerdeführenden Gesellschaft auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 der Konvention vorliegt (im vorliegenden Fall das Recht, bestimmte Informationen bekannt zu geben). Ich schließe mich ebenfalls der Schlussfolgerung der Großen Kammer an, dass die Sanktionen gesetzlich vorgesehen waren und ein legitimes Ziel verfolgten, d.h. die Achtung der Rechte anderer, im vorliegenden Fall das nach Artikel 8 der Konvention geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens (darunter das Recht auf Achtung des guten Rufes). Ich billige auch die Erklärung der Großen Kammer (Randnummer 76 des Urteils), derzufolge der Gerichtshof zu bestimmen hat, ob diese Sanktionen im Sinne des Artikels 10 Absatz 2 der Konvention in einer demokratischen Gesellschaft notwendig waren. Wie es in den folgenden Randnummern des Urteils weiter heißt, muss der Gerichtshof ferner zur Beantwortung dieser Frage ermitteln, ob die innerstaatlichen Gerichte die widerstreitenden Rechte und Interessen gebührend abgewogen haben, nämlich das Recht auf freie Meinungsäußerung einerseits und das Recht auf Achtung des Privatlebens andererseits.

Meine von dem Urteil der Großen Kammer abweichende Meinung ergibt sich aus der im Folgenden dargelegten Argumentation. Nach seiner in diesem Urteil zitierten ständigen Rechtsprechung (Petrenco ./. Moldau, Nr. 20928/05, Rdnr. 54, 30. März 2010, Petrov ./. Bulgarien (Entsch.), Nr. 27103/04, 2. November 2010, und Polanco Torres und Movilla Polanco ./. Spanien, Nr. 34147/06, Rdnr. 40, 21. September 2010) ist es nicht Aufgabe des Gerichtshofs, an die Stelle der zuständigen innerstaatlichen Gerichte zu treten, um die Begründetheit der Rechtssache zu beurteilen, sondern er hat die von diesen Gerichten in Ausübung ihres Einschätzungsspielraums getroffenen Entscheidungen zu überprüfen. Hinsichtlich der Beachtung des Artikels 10 der Konvention genießen die innerstaatlichen Gerichte einen großen Ermessensspielraum (H. ./. Deutschland, Nr. 59320/00, Rdnr. 57, CEDH 2004-VI, und Lappalainen ./. Finnland (Entsch.), Nr. 22175/06, 20. Januar 2009), obgleich ihre Entscheidungen, wie die Große Kammer übrigens in dem Urteil betont hat (Randnummer 86), der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegen. Der Gerichtshof hat hierzu eine Reihe von Kriterien aufgestellt, die anzuwenden sind, um die Art zu beurteilen, in der die innerstaatlichen Gerichte widerstreitende Rechte abwägen, insbesondere den Beitrag von veröffentlichten Informationen zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, das vorherige Verhalten und den Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, den Inhalt und Wahrheitsgehalt der Informationen, und die Art der verhängten Sanktionen und Strafen. Bei der Abwägung der widerstreitenden Rechte in den Fällen, mit denen sie befasst sind, müssen sich die nationalen Behörden (im vorliegenden Fall die innerstaatlichen Gerichte) bei der Entscheidungsfindung auf diese Kriterien stützen und dabei das innerstaatliche Recht anwenden, wenn sie – mit dem Vorteil einer unmittelbaren Überprüfung – den Sachverhalt und die Umstände der Rechtssache würdigen.

Um diese Kontrollbefugnisse auszuüben, ohne zur vierten Instanz zu werden, muss der Gerichtshof bei seiner Aufgabe, die darin besteht, die Achtung der von der Konvention geschützten Rechte zu gewährleisten, in solchen Rechtssachen im Wesentlichen überprüfen, ob die innerstaatlichen Gerichte die widerstreitenden Rechte gebührend abgewogen und die relevanten Kriterien berücksichtigt haben, die sich aus unserer Rechtsprechung ergeben, ohne einen offensichtlichen Fehler zu begehen oder einen wichtigen Faktor zu vernachlässigen. Sind diese Vorbedingungen erfüllt, d.h. haben die innerstaatlichen Gerichte die konfligierenden Rechte und Interessen ausdrücklich abgewogen und die maßgeblichen Kriterien angewandt, die sich aus der obengenannten Rechtsprechung ergeben, bedeutet eine andere Würdigung der konkurrierenden Interessen durch den Gerichtshof, der den Sachverhalt und die Umstände der Rechtssache erneut untersucht, dass er sich zur vierten Instanz (oder wie im vorliegenden Fall zur fünften Instanz) erhebt.

In dieser Sache haben die innerstaatlichen Gerichte (hauptsächlich das Landgericht und das Oberlandesgericht Hamburg) die gewünschte Abwägung gewiss vorgenommen. Diese Gerichte haben für jeden veröffentlichten Artikel zweimal hintereinander die sich aus der Freiheit der Meinungsäußerung und dem Schutz des Privatlebens ergebenden konfligierenden Interessen gewürdigt. In einer umfangreichen Begründung haben sie ihre abschließenden Urteile und die Gründe erläutert, aus denen sie dem Schutz des Rechts auf Achtung des Privatlebens und des guten Rufs mehr Bedeutung beigemessen haben. In ihren Urteilen haben sie die verschiedenen Aspekte der Frage eingehend untersucht, insbesondere das öffentliche Informationsinteresse, den Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, die Art der Straftat, derer sie verdächtigt und dann beschuldigt und deretwegen sie später verurteilt wurde, und die Schwere der gegenüber der beschwerdeführenden Gesellschaft verhängten Sanktion. Das innerstaatliche Berufungsgericht hat sich ferner zwar mittelbar, aber dennoch bewusst auf die Kriterien des Gerichtshofs gestützt, indem es auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. November 2005 Bezug nahm, das ausdrücklich die in dem Urteil H. ./. Deutschland vom 24. Juni 2004 entwickelten Kriterien angeführt und angewandt hat.

Es kann sicher vorkommen, dass die innerstaatlichen Gerichte die einschlägigen Kriterien offensichtlich unangemessen anwenden oder bestimmte wichtige Faktoren nicht gebührend würdigen. Im vorliegenden Fall verdeutlichen jedoch die sowohl durch das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Hamburg ergangenen Urteile, dass beide alle maßgeblichen Aspekte der Sache sorgfältig abgewogen haben, mit dem Vorteil ihrer Kenntnis und ihres ständigen Kontakts zur sozialen und kulturellen Realität ihres Landes; dies geschah in einer Weise, die nicht als willkürlich, nachlässig oder offensichtlich unangemessen angesehen werden kann.

Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass im vorliegenden Fall keines der Kriterien gegeben ist, die eine Kontrolle der Urteile der innerstaatlichen Gerichte durch den Gerichtshof rechtfertigen. Diese Gerichte haben die widerstreitenden Interessen abgewogen und dabei die maßgeblichen Kriterien angewandt. Sie haben keinen offensichtlichen Fehler bei der Würdigung begangen und keinen relevanten Faktor vernachlässigt. Statt die Frage zu prüfen, ob die innerstaatlichen Gerichte die obengenannten Kriterien tatsächlich angewandt haben, hat sich die Große Kammer jedoch im vorliegenden Fall dafür entschieden, den gleichen Sachverhalt erneut zu untersuchen, den die innerstaatlichen Gerichte bereits geprüft hatten; dies erfolgte trotz der eingehenden Würdigung der Umstände der Sache, die bereits durch die innerstaatlichen Gerichte in einer Art und Weise erfolgt war, die nicht offensichtlich unangemessen war und den Vorteil einer unmittelbaren Prüfung des Kontextes barg, in dem die Ereignisse eingetreten sind. Die Große Kammer hat zwar denselben Sachverhalt analysiert, die gleichen Kriterien angewandt und die gleiche Abwägung wie die innerstaatlichen Gerichte vorgenommen, ist jedoch zu einem anderen Ergebnis gelangt, indem sie dem Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung mehr Gewicht beigemessen hat als dem Schutz des Rechts auf Achtung des Privatlebens. Aber genau hierin besteht nach seiner Rechtsprechung nicht die Aufgabe des Gerichtshofs, d.h. er hat sich nicht zur vierten Instanz zu erheben, um eine durch die innerstaatlichen Gerichte ordnungsgemäß erfolgte Überprüfung zu wiederholen.

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